Wie fair und nachhaltig kann Mode sein?
Wie sieht die Mode der Zukunft aus? Wie fair kann sie sein, und wie nachhaltig? Um diese und weitere spannende Fragen ging es bei einer Diskussionsrunde im Rahmen der gerade stattfindenden Fashion Revolution Week.
Gleich zu Beginn entschuldigte sich Mimi Sewalski, Gastgeberin der Veranstaltung und Geschäftsführerin von Avocadostore.de, für einen kleinen Fehler bei der Eventbeschreibung. Da war die Rede von einer Podiumsdiskussion; tatsächlich hatte die Diskussionsrunde auf einem bequemen Sofa Platz genommen. Wenn’s weiter nichts ist. Das dürfte das zahlreich erschienene Publikum kaum gestört haben, schließlich ging es um die Inhalte, und die boten reichlich Anlass zum Nachdenken und Handeln.
Der durchschnittliche Deutsche hat in vergangenen Jahr 60 Kleidungsstücke gekauft. Insgesamt haben sich den Kleiderschränken des Landes rund 52 Milliarden Teile angesammelt, von denen satte 40 % gar nicht getragen werden. Kein Wunder, dass Jahr für Jahr gut 750.000 Tonnen Alttextilien ausrangiert werden. Damit ließe sich eine LKW-Kolonne von Kiel bis nach München bestücken, rechnete Mimi vor, die in ihrem Avocadostore seit 2010 nachhaltige und faire Mode und Accessoires verkauft, mit steigendem Erfolg. Aber was heißt das überhaupt in Bezug auf Mode: fair?
Fair müssen vor allem die Produktionsbedingungen sein
Der Begriff bezieht sich in allererster Linie auf die Produktionsbedingungen, darüber bestand in der Runde Einigkeit. Hier müsse größtmögliche Transparenz geschaffen werden, damit Kunden die Möglichkeit haben sich zu informieren. Ein Siegel könnte da helfen, meinte der Nachhaltigkeitsexperte Dr. Stefan Siemer, der „fair“ gar nicht so absolut versteht. „Weniger unfair“ sei auch schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Auf ein Siegel legen Pola Fendel und Thekla Wilkening von der Kleiderei weniger Wert, auf genaue Kenntnisse über die Herkunft von Mode schon. Sie reduzieren zudem mit ihrem Geschäftsmodell die Überfüllung im Kleiderschrank. Man kann bei ihnen ein Klamotten-Abo abschließen, bekommt monatlich neue Teile nach Wahl zugeschickt und sendet sie dann später wieder zurück. Eine ziemliche clevere Variante von Recycling, bei der allerdings ein Element etwas zu kurz kommt: die Spontanität.
Spontanität schlägt Vernunft
Gerade bei Kleidung sind spontane Lust- oder Frustkäufe keine Seltenheit. Da spielt es dann keine Rolle mehr, ob etwas fair, nachhaltig oder öko ist oder überhaupt gebraucht wird. Trotzdem muss man die Verbraucher auch über den Verstand zu erreichen versuchen. Zum Beispiel mit solchen Zahlen: Die Textilindustrie ist der drittgrößte Umweltverschmutzer überhaupt (Platz 1: Ölindustrie). Für die Herstellung eines normalen T-Shirts werden 2.700 Liter Wasser und 150 Gramm Pestizide verbraucht. 90 Millionen Kinder arbeiten weltweit allein in der Baumwollproduktion.
Da könne man schon in Depressionen versinken. Oder sieben Jahre zurückdenken und überlegen, welchen Status faire Mode damals im Vergleich zu heute hatte, schlug Stefan Siemer vor. Und wie wie es wohl in sieben Jahren aussehen würde. Besser, zeigte sich die Mehrheit des Publikums optimistisch. Heute fehle vielerorts noch das richtige Angebot. Jeder Supermarkt, jeder Discounter hat inzwischen eine Ecke mit Bio-Produkten und Angeboten für Vegetarier, auch Food-Startups bekommen immer häufiger ihre Chance.
Im Fashion-Bereich könnte ähnliches gelingen. Dachte sich auch das Hamburger Label JAN ´N JUNE, doch in der Praxis ist das gar nicht so einfach. Sie und ihre Mitgründerin Anna Bronowski hätten sich die tollsten Kreationen ausgedacht für eine komplette Kollektion, erzählte Juliana Holtzheimer. Auch einen geeigneten Produktionsort in Polen hatten sie gefunden, fehlten nur noch die passenden Stoffe. Hier folgte die erste Ernüchterung: Auf den einschlägigen Messen gab es zwar die schönsten Muster und Farben, aber die waren meist weder fair noch bio. Und hatten sie schließlich was Passendes gefunden, hieß es, sie müssten mindestens 300 bis 500 Meter abnehmen, obwohl sie zum Start nur 20 Meter benötigten.
Der Markteintritt für Startups ist schwer
Das nächste Problem: den konventionellen Handel davon zu überzeugen, die Kollektion ins Sortiment zu nehmen. Da wird dann um Margen gefeilscht und mit dem Preis argumentiert. Der sei zu hoch und werde von den Kunden nicht akzeptiert. Dabei sind Markenprodukte oft noch viel teuer, ohne bessere Qualität zu bieten. Allerdings wird hier ein Stück Lebensgefühl verkauft, das sich rational nicht begründen lässt.
Was also tun; die Verbraucher per Gesetz zu Fair Fashion zwingen? Das lässt sich in in einer Demokratie und auf einem globalisierten Markt kaum durchsetzen. Umdenken kann man aber durchaus beschleunigen, zumal, wenn ein Großkonzern wie OTTO mitmacht. Dort arbeitet Anja Heuschkel, die von der Aktion Cotton made in Africa berichtete. Deren Ziel ist es, bis 2020 bei den Eigenmarken nur noch nachhaltige Baumwolle zu verarbeiten. Um das dazugehörige Bewusstsein zu schaffen, müssen ziemlich dicke Bretter gebohrt werden. Intern ebenso wie auf Konsumentenseite, denn eine aufwändige Kampagne rund um Cotton made in Africa hätte viel mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt, meinte Anja.
Der Vorwurf des Greenwashing nützt niemandem
Schnell wird bei solchen Aktionen der Vorwurf des „Greenwashing“ laut. Damit ist gemeint, dass ein Unternehmen Dinge nur zu Marketingzwecken tut, ohne dass sie wirklich Substanz besitzen. Ein zu leichtfertig geäußerter Vorwurf, der Unternehmen und Verbraucher schnell gleichgültig und zynisch werden lassen könnte, urteilte die Runde. Nach dem Motto, wenn mir eh keiner glaubt beziehungsweise sowieso alles gelogen ist, warum sollte ich mich dann überhaupt mit dem Thema beschäftigen. Alles, was nachhaltige Mode voranbringt, wurde begrüßt, da ist es auch kein Problem, wenn ein Unternehmen das für seine PR nutzt.
Machen wir uns nichts vor, Fair Fashion ist, mehr noch als ähnliche Trends im Food-Bereich, nach wie vor ein Nischenthema, und Transparenz bei Kleidung noch schwieriger herzustellen als bei Lebensmitteln. Der Bewusstseinswandel findet dennoch statt, auch wenn er vielen aus der Runde viel zu langsam geht. Ein schwieriges, aber attraktives Feld auch für Startups. Vielleicht gelingt irgendwann einem von ihnen das, was heute noch schwer vereinbar erscheint: nachhaltig und fair und gleichzeitig cool und massentauglich zu sein.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!