WebID – ein Fintech mit vielen Wurzeln
Der Firmensitz ist in Berlin, die meisten Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen in Solingen – warum sollte WebID dann überhaupt ein Thema für Hamburg Startups sein? Weil das erfolgreiche Fintech, das die Videoidentifizierung eingeführte, viele Standorte hat, und einer der wichtigsten befindet sich in Altona. Dort haben wir Frank Jorga, einen der Gründer, besucht.
Sein erstes Unternehmen hat Frank Jorga schon 1989 im zarten Alter von 17 Jahren zusammen mit seinem Bruder Sven in Lübeck gegründet. Sie beschäftigten sich mit Videoanimation, benötigten für eine Sekunde Film fünf Stunden Rechnerzeit und waren damit damals technisch ziemlich weit vorn. Als ersten Kunden konnten sie immerhin Fielmann gewinnen.
Vor WebID viele Erfahrungen in der Finanzwelt gesammelt
Seine berufliche Zukunft sah Frank dann allerdings eher in der Finanzwelt. Das Bankwesen lernte er bei der Dresdner Bank in Frankfurt kennen, später studierte er zudem Jura und Betriebswirtschaft. Eineinhalb Jahre arbeitete er in Los Angeles und ließ sich vom amerikanischen Unternehmergeist inspirieren, dem Prinzip, Dinge einfach mal auszuprobieren. Eine Reihe von Voraussetzungen für eine erfolgreiche Startup-Karriere waren also früh gegeben, doch zunächst wurde er Assistent des Aufsichtsratsvorsitzenden der Dresdner Bank.
Das war zu der Zeit, als eine Fusion der Dresdner mit der Deutschen Bank im Gespräch war. Dazu kam es allerdings nie; im Juli 2001 übernahm die Allianz AG die Dresdner Bank, die seit 2009 mit der Commerzbank verschmolzen ist. Frank Jorga hatte mittlerweile für diverse Unternehmen im Business Development gearbeitet und dabei eine Menge Erfahrung bei Digitalprojekten gesammelt. Der Wunsch, sich mit einer eigenen Idee selbständig zu machen, wurde stärker.
Berlin als Standort wegen der Nähe zum Finanzministerium
2012 war es dann so weit: Zusammen mit den ebenfalls branchenerfahrenen Franz-Thomas Fürst und Tim-Markus Kaiser (inzwischen nicht mehr im Unternehmen aktiv) gründete er WebID. Bruder Sven kam kurz darauf hinzu. Als Gründungsstandort kam nur eine Großstadt infrage. Der überzeugte Hamburger Frank Jorga hätte gern die Hansestadt gewählt, doch Berlin erwies sich als praktischer. Die Adresse dort lautet Friedrichstraße 88, nicht weit entfernt von der Wilhelmstraße 97, dem Sitz des Bundesministeriums der Finanzen. Dem Gründerteam war klar, dass sie dort häufiger würden antreten müssen, denn ihr Produkt musste ein aufwendiges Genehmigungsverfahren durchlaufen. Mindestens 30 solcher Termine gab es wohl, bis WebID 2014 offiziell das Geschäft aufnehmen konnte.
Das Geschäftsmodell sind Personenidentifikationen über das Internet. Früher mussten Personen, die online beispielsweise ein Konto eröffnen wollten, zur Klärung ihrer Identität trotzdem noch zur Bank oder Post gehen und dort ihren Ausweis vorzeigen. Das Geldwäschegesetz (GwG) schrieb das vor. Mittlerweile ist das GwG dank der Initiative von WebID so modernisiert worden, dass die Überprüfung der Ausweise auch per Video-Chat möglich ist. Die Antragsteller müssen dafür ihren Ausweis vor die Webcam halten, auf der anderen Seite sitzen Mitarbeiter von WebID und überprüfen die Gültigkeit des Dokuments und ob dieses auch tatsächlich dem vermeintlichen Besitzer gehört.
Ein Sicherheitsniveau wie beim Geheimdienst
Gelegentlich kommt es zu kuriosen Betrugsversuchen mit aufgeklebten Fotos oder durch Personen, die mit dem Ausweisbild keinerlei Ähnlichkeit haben. Das geschulte Personal lässt sich aber dadurch nicht beirren und wird in absehbarer Zeit durch künstliche Intelligenz auch nicht zu ersetzen sein. Im sogenannten High Security Ident Center in Solingen, der Heimat von Mitgründer Franz-Thomas Fürst, arbeiten über 430 Personen. Sicherheit wird dort ganz groß geschrieben. Alle Mitarbeiter müssen sich bei Betreten über einen Venenscanner identifizieren und wiegen lassen, damit garantiert ist, dass jeweils nur eine Person durch die Sicherheitsschleuse geht.
Über 3,5 Millionen Identifizierungen hat WebID mittlerweile durchgeführt, dabei mehr als 90 Millionen Datenfelder überprüft und sein Angebot mehrfach verfeinert und ausgebaut. Dazu gehören seit 2016 ein Vertragsabschluss-System mit Qualifizierter Elektronischer Signatur und die 2017 eingeführte „True Identity“. Das ist eine von WebID gespeicherte Web-Identität, die wie ein digitaler Ausweis bei Vertragsabschlüssen funktioniert.
Von Hamburg aus wird die Internationalisierung vorangetrieben
Am Standort Hamburg arbeiten rund 20 Mitarbeiter vor allem in der Großkundenbetreuung, in der Produktentwicklung, am Ausbau des internationalen Geschäfts und im Marketing. In Kiel ist die IT beheimatet, wie der CTO Sven Jorga. Mit Kunden wie Vodafone, der Allianz und der Deutschen Bank ist WebID Marktführer, hat mit IDnow und der Deutschen Post allerdings starke Konkurrenz. Deshalb spielt das Auslandsgeschäft eine immer wichtigere Rolle. In Österreich und der Schweiz hat man ebenfalls die Nase vorn und hat sich sogar schon in Indien etabliert. „Made in Germany“ als Zeichen für Qualität und Sicherheit zieht halt immer noch.
Das nächste große Ziel sind die USA. Gerade richtet WebID Büros in New York und dem Silicon Valley ein und hat sich ein wertvolles US-Patent gesichert. Für 2018 wird ein Umsatz von insgesamt 13 Millionen Euro angepeilt (2017: 8 Millionen). Um die Expansion voranzutreiben, wird WebID auch wieder die Fühler nach einer neuen Finanzierung ausstrecken. Bisher ist Hannover Finanz mit 10 % an dem Unternehmen beteiligt. WebID hat also noch eine Menge vor, und einige der entscheidenden Fäden werden in Hamburg gezogen. Also lässt sich WebID mit Fug und Recht zur so umtriebigen und erfolgreichen Fintech-Szene der Hansestadt zählen.
Fotos: WebID