Was 2020 die Hamburger Startup-Szene bewegt hat
Wie stark oder schwach ist die Startup-Metropole Hamburg? Welche Events fanden im Zeichen von Corona statt – und wie? Wer konnte in 2020 Erfolgsgeschichten schreiben und wer musste die Segel streichen? Welche Startups sicherten sich die lukrativsten Finanzierungsrunden? Diese und viele andere Fragen beantwortet unser Jahresrückblick.
Normalerweise sind unsere Jahresrückblicke immer vollgepackt mit Bildern von großen Events. Messen, Kongresse, Pitch-Wettbewerbe, Preisverleihungen und andere Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Startup-Szene bilden die Höhepunkte und geben dem Jahr Struktur. 2020 fanden viele der geplanten Events entweder gar nicht oder in reduzierter Form im Internet statt, mit entsprechend geringerer Resonanz. So wurde die Vorstellung der Ergebnisse des 7. Deutschen Startup Monitors bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC zu einem unerwarteten Highlight. Am 5. März bahnte sich die Corona-Krise zwar schon an, noch gab es aber keinerlei Kontaktbeschränkungen. Daher waren an dem Abend so ziemlich alle vertreten, die im Startup-Ökosystem Rang und Namen haben – in dieser Form zum letzten Mal in 2020.
Nicht alles nur schwarz oder weiß in Hamburg
Die Vorstellung der Monitor-Daten trat dabei schnell in den Hintergrund, die anschließende Diskussion über die Qualität des Startup-Standorts Hamburg sorgte dagegen lange für Gesprächsstoff. Noch Wochen später erschien im Handelsblatt ein Beitrag mit den reißerischen Titel „Hamburg ist Meister der Selbsttäuschung“ – Gründerszene rechnet mit Start-up-Metropole ab. Als Kronzeuge für dieses Pauschalurteil musste Gunnar Froh, Gründer von Wunder Mobility, herhalten, der in der Tat mit kritischen Worten nicht sparte. So stellte er unter anderem fest, wie schwierig es sei, in Hamburg geeignete Fachkräfte für sein Unternehmen zu finden. Gerade die Hochschulen der Hansestadt müssten noch mehr für den Nachwuchs in den MINT-Fächern tun, darüber war sich die Diskussionsrunde einig. Eine Generalabrechnung fand aber nicht statt. Hamburg steht nicht auf einer Stufe mit Berlin und hat in einigen Bereichen Nachholbedarf, schreibt aber auch eine Reihe von Erfolgsgeschichten, war das Fazit.
Normalerweise hätte die Diskussion bei zahlreichen kleinen und großen Events – von 12min.me bis OMR – seine Fortsetzung gefunden. Letztlich fand keine der geplanten Veranstaltungen in ihrer gewohnten Form statt, das ganze Jahr über nicht. Manche Events mussten komplett gestrichen werden, andere verlagerten sich vollständig oder zumindest teilweise als sogenannte Hybridformate ins Internet. Das funktionierte gelegentlich recht gut und einige Konzepte werden auch in der Zeit nach der Corona-Krise Bestand haben können. Aber auch die bestorganisierten Videokonferenzen mit digitalen Chaträumen und anderen Möglichkeiten der Interaktion können die Atmosphäre von Live-Ereignissen nicht ersetzen. Persönliche Begegnungen, gerade mit Menschen, die man noch nie zuvor gesehen hat und zufällig irgendwo trifft, haben 2020 schmerzlich gefehlt.
Viele Gewinner und ein großer Verlierer
Die geringsten Probleme bei der Umstellung auf die „neue Normalität“ hatte noch der bundesweit erstmals ausgerufene Digitaltag im Juni. Der sollte sowieso in großen Teilen im Internet stattfinden. Einer der Höhepunkte war ein Pitch-Duell der Startup-Metropolen Berlin, Hamburg, Köln und München. Der Tagessieg ging in den Süden der Republik, aber auch alle alle anderen Kandidaten haben sich gut verkauft. Allein die Möglichkeit, sich mal wieder einem Publikum präsentieren zu können, wenn auch nur digital, war schon ein Gewinn. Ein großes Publikum bekommen üblicherweise die Gewinner des Hamburger Gründerpreises. Die Preisverleihung in der Fischauktionshalle ist stets ein gesellschaftliches Ereignis. Dieses Jahr dagegen konnte nur eine kleine geschlossene Gesellschaft der Zeremonie in der Handelskammer beiwohnen. Für die Preisträger, unter ihnen das Startup Nect, war es trotzdem ein Ereignis.
Eine neue Trophäe ins Regal stellen konnten sich auch die Siegerteams bei den Hamburg Innovation Awards: Plancraft, PANDA und Wunder Mobility. Überhaupt gab es bei Wunder Mobility in 2020 wenig Grund zur Klage. So übernahm das Unternehmen einen australischen Mitbewerber, startete seinen eigenen Marktplatz für Mobilitätssoftware und stieg in den lateinamerikanischen Markt ein. Internationales Ansehen genießt auch das Startup Channel Pilot, das Software für den E-Commerce entwickelt. Seit April gehört Channel Pilot der Reederei CMA CGM, die ihren Hauptsitz in Marseille hat. Deutlich weniger glücklich verlief das Jahr für Kreditech, einst eines der am höchsten bewerteten Fintechs in Deutschland. Unumstritten war das Startup mit seinem Kreditgeschäft allerdings nie. Die Umbenennung in Monedo sollte einen Neuanfang signalisieren, stattdessen folgte im Herbst die Insolvenz und schließlich die Zerschlagung des Unternehmens.
2020 brachte das Aus für den Hamburger Innovations-Wachstumsfonds
Endgültig verabschieden musste sich Hamburg auch von einem Projekt, dass seit Jahren in der Planung war. Der Hamburger Innovations-Wachstumsfonds sollte 100 Millionen Euro für Later Stage-Startups zur Verfügung stellen, überwiegend von privaten Investoren. Die konnten sich aber für den von der Stadt initiierten Fonds nie richtig erwärmen. Offiziell gab ihm die Corona-Krise im September den Todesstoß. Investoren zu finden ist und bleibt überhaupt eine der großen Herausforderungen für Startups, gerade in Hamburg. Die Halbjahresbilanz, veröffentlicht im EY Startup-Barometer, fiel besonders ernüchternd aus. Lediglich 26 Millionen Euro konnten Startups aus der Hansestadt von Januar bis Juni in Finanzierungsrunden einsammeln. (Zum Vergleich Berlin: 1,135 Milliarden Euro.) Zu den Glücklichen gehörten Receeve, attenio, WorkGenius, Sympatient und Nect.
Die größten Finanzierungsrunden 2020
Das zweite Halbjahr verlief in Sachen Finanzierungen dann deutlich erfolgreicher. Das erste ganz große Ausrufezeichen setzte gleich im Juli quantilope mit 28 Millionen US-Dollar. Ebenfalls im zweistelligen Millionenbereich lagen OWNR (12,5 Millionen Euro), COYO (genauer Betrag ungenannt) und Taxdoo (21 Millionen US-Dollar). Freuen durften sich unter anderem auch Claimsforce, OAK25 und Sponsoo. Mit 6,5 Millionen Euro unterstützten Investoren die Fusion von Gpredictive aus Hamburg und CrossEngage aus Berlin. Diese Verschmelzung könnte Vorbild sein für andere Startups auf der Suche nach Wegen zu schnellerem Wachstum.
Dass es nicht immer professionelle Investoren sein müssen, zeigte die nachhaltige Bank Tomorrow. Mit einer Crowdfunding-Kampagne sammelte sie innerhalb weniger Stunden drei Millionen Euro ein. Investoren stehen auch im Mittelpunkt der TV-Show „Die Höhle der Löwen“. Dort macht Ralf Dümmel nach wie vor die meisten Deals. Der ehemalige Formel 1-Weltmeister Nico Rosberg sollte in der neuesten Staffel zusätzlichen Schwung reinbringen, hielt sich aber bisher deutlich zurück. Die einzige Ausnahme bildete ein Deal zusammen mit Carsten Maschmeyer in der letzten Folge des Jahres. Warum erwähnen wir das hier? Weil der Erfolg Hyconnect gehörte, einem Hamburger Startup, das den Leichtbau von Schiffen revolutionieren möchte.
Corona und die Perspektiven für 2021
Startups sind immer auf der Suche nach Geld und die Corona-Krise stellte viele vor zusätzliche Herausforderungen. Einige konnten von ihr allerdings auch profitieren, etwa, wenn sie sich auf E-Commerce spezialisiert hatten. Der Boom bei YogaEasy, das Yoga-Übungen per Video anbietet, war sogar der Zeit einen Beitrag wert. Für in finanzielle Schieflagen geratene Unternehmen und Selbständige legte die Stadt diverse Hilfsprogramme auf, so das inzwischen ausgelaufene HCS InnoStartup oderden Corona Recovery Fonds, der kürzlich bis Ende Juni 2021 verlängert wurde. Die Angebote passten nicht für alle, sodass immer auch Eigeninitiative gefragt war. Beispielhaft dafür steht die besonders gebeutelte Gastro-Szene, die schon wenige Tage nach dem ersten Lockdown eine Reihe von Aktionen auf die Beine gestellt hatte.
Die Einteilung der Zeit in Jahre bleibt in gewisser Weise immer willkürlich und das gilt besonders für die heutige Zeit. 2021 steht hoffentlich für einen Neuanfang, doch am 1. Januar wird sich zunächst einmal nichts ändern. Corona hat die (Startup-)Welt weiter fest im Griff. Unabhängig davon bleibt auch die Frage offen, wohin sich das Hamburger Ökosystem entwickelt. Es fehlen nach wie vor die zentrale Instanz und das große Thema, das die Stadt prägt. Wird es doch noch Blockchain, mittlerweile ziemlich raus aus den Schlagzeilen? Wie sieht es mit künstlicher Intelligenz aus? Logistik ist in einer Hafenstadt natürlich immer ein Thema, genau wie Mobilität, befeuert durch den ITS World Congress, geplant für den Oktober 2021. Man darf gespannt sein, in welcher Form er dann stattfinden kann. Langweilig wird es 2021 sicherlich nicht in der Hamburger Startup-Szene. Wir freuen uns auf jeden Fall darauf, auch im kommenden Jahr wieder zu berichten!
Übrigens: Wenn ihr wissen wollt, wie wir von Hamburg Startups 2020 erlebt und was wir alles auf die Beine gestellt haben, könnt ihr das hier nachlesen!
Beitragsbilder: Diskussion über den Standort Hamburg bei PwC, Coronavirus, Hamburger Gründerpreis (Foto: Haspa) und Dr. Lars Molter von Hyconnect bei „Die Höhle der Löwen“ (Foto: TVNOW / Bernd-Michael Maurer)