Warum das Medien-Startup Flip einen Sneaker produziert
Mit der Sneakerjagd sorgte das Hamburger Startup Flip bundesweit für Schlagzeilen und zeigte, was beim Recycling alter Schuhe alles im Argen liegt. Jetzt geht Flip noch einen Schritt weiter und geht selbst unter die Sneakerproduzenten. Eine Crowdfunding-Kampagne sorgt dabei für die gewünschte Aufmerksamkeit.
Unternehmen verkünden gerne, wie klima- und umweltbewusst sie inzwischen agieren. Viel zu oft sind das aber reine Marketingaktionen oder es geht nur um einzelne nachhaltige Projekte, während das Hauptgeschäft nach wie vor unter althergebrachten Bedingungen abläuft. „Greenwashing“ nennt man dieses Vorgehen, dessen Aufdecken sich das Hamburger Medien-Startup Flip zur Aufgabe gemacht hat.
Flip vereint journalistische und wirtschaftliche Kompetenz
Auch wenn hinter Flip vier männliche Gründer stecken, kann man trotzdem in gewisser Weise von einem gemischten Team sprechen. Felix Rohrbeck und Christian Salewski sind beide gestandene Investigativjournalisten, während die Brüder Dominik und Christian Sothmann Erfahrung aus der Wirtschaft mitbringen. Dominik ist Digitalexperte, Christian hat unter anderem für den Ökostromanbieter Lichtblick gearbeitet. Dort stand ein Thema ganz oben auf der Tagesordnung, auf das sich alle vier einigen können: Nachhaltigkeit.
Regelmäßig erklärt bei Umfragen eine Vielzahl von Menschen, ihren Konsum nachhaltiger gestalten zu wollen. Das ist aus einer Reihe von Gründen leichter gesagt als getan. Einer davon ist die mangelnde Aufklärung darüber, was wirklich als nachhaltig einzustufen ist und wo nur das erwähnte Greenwashing dahintersteckt. Solche Informationen sind oft schwer zu bekommen. Deshalb hat Flip einen Newsletter initiiert, der eigenständig recherchierte Berichte zu Produkten und Aktionen enthält und wertvolle Tipps gibt. Mittlerweile sind die Inhalte auch auf der Webseite archiviert.
Die Sneakerjagd mit vielen Promis war ein Medienhit
2021 landete Flip mit der Sneakerjagd einen echten Mediencoup. Ausgangsidee war es zu überprüfen, wo ausrangierte Sneaker, die eigentlich in irgendeiner Form wiederverwendet werden sollten, am Ende tatsächlich landen würden. Die Modeindustrie ist nicht gerade für ihre umweltfreundlichen Produktionsbedingungen bekannt und der Trend zur Fast Fashion sorgt für stetig wachsende Müllberge. Umso wichtiger sind für die Branche imagefördernde Aktionen wie die Rücknahme von alten Sneakern mit dem Versprechen, sie sinnvoll zu recyceln.
Für die Sneakerjagd, die Flip zusammen mit den Medienpartern Zeit und NDR veranstaltet hat, konnte das Startup elf Prominente gewinnen, unter ihnen Jan Delay, Carolin Kebekus und der damals noch unverdächtige Fynn Kliemann. Sie stellten ihre abgelatschten Treter zur Verfügung, die dann mit GPS-Sendern ausgestattet wurden. Durchaus eine technische Herausforderung, denn die Geräte mussten möglichst unauffällig und ohne sichtbaren Schaden zu verursachen eingebaut werden und über einen längeren Zeitraum und größere Distanzen funktionieren. Das klappte auch ganz gut und die Ergebnisse waren äußerst ernüchternd. Die Recyclingversprechen wurden kaum eingehalten, einige der Sneaker gelangten bis nach Kenia und endeten dort auf der Müllkippe oder irgendwo in der Umwelt.
Der Wunsch, es selber besser zu machen
Auch wenn die Recherchearbeit, die alles in allem über ein Jahr in Anspruch genommen hatte, kein erfreuliches Resultat brachte, gelohnt hat sie sich auf jeden Fall. Das Medienecho war auch dank der prominenten Namen gewaltig, die Aufklärungsarbeit wirkte also weit über die Flip-Community hinaus. Auch andere Enthüllungen machten schon Schlagzeilen, etwa über das Getränke-Startup air up, das längst nicht alle seine Nachhaltigkeitsversprechen einlöst. Missstände und Wiedersprüche aufdecken ist das eine, aber im nächsten Schritt möchte Flip auch konkrete Lösungen anbieten. Dafür hat das Startup jetzt sein journalistisches Terrain verlassen und ist unter die Schuhproduzenten gegangen.
Natürlich nicht allein, fachliche Unterstützung kommt von dem Sneakerhersteller Monaco Ducks. Die wissenschaftliche Expertise steuert die Fakultät Textil & Design der Hochschule Reutlingen bei und als Partner in Kenia fungiert das Recycling-Startup Africa Collect Textiles (ACT). Die Recherchen in dem afrikanischen Land haben nämlich besonders tiefe Eindrücke hinterlassen, und da war es selbstverständlich, dort ansässige Akteure bei der Lösung des Problems miteinzubeziehen. „Die Idee“, sagt Flip-Mitgründer Dominik Sothmann, „war relativ schnell klar: Wir wollten
einen Sneaker entwickeln, der dazu beiträgt, Textilmüll in Afrika aufzuräumen.“
Neue Firma und neues Produktionsverfahren
Um die Idee in die Tat umzusetzen, haben Flip und Monaco Ducks eine neue Firma namens GRND gegründet, eine Anspielung auf das Herstellungsverfahren, auf das wir gleich noch kommen werden. Der Sneaker selbst heißt MARABU, wie der Vogel aus der Familie der Störche, der häufig auf afrikanischen Müllkippen zu finden ist. Noch ist dieser Schuh ein Kompromiss, denn er besteht nicht vollständig aus recyceltem Material und wird vorerst in Portugal gefertigt. Im Idealfall wird später die Produktion in Kenia selbst stattfinden, woher jetzt schon die von ACT eingesammelten Altsneaker stammen.
Die werden zu einem Granulat geschreddert (grinded, daher der Name), das als Bestandteil der Sohle Verwendung findet. Hinzu kommt ein Materialmix, der zu rund 90 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht (60 Prozent Naturkautschuk, 30 Prozent Reisschalenasche). Der Oberschuh besteht aus weiteren 15 Komponenten, 13 davon sind aus recycelten Materialien. Zudem soll ein Pfand dafür sorgen, dass die Sneaker nach ihrer Nutzung zurückgegeben und möglichst vollständig recycelt werden.
Raketenstart beim Crowdfunding
Flip hat über die Entwicklungsgeschichte des MARABU und die dabei zu bewältigenden Herausforderungen ausführlich berichtet. Die Community war dementsprechend gut vorbereitet auf die Crowdfunding-Kampagne, die am 4. Oktober an den Start gingt. Das zahlte sich aus: Bereits nach 54 Minuten waren 10.000 Euro und damit das Minimalziel erreicht. Mittlerweile liegt der Betrag schon deutlich über 60.000 Euro. Nach Abschluss der Kampagne erhalten zunächst die Unterstützer ihre Sneaker, später sollen sie auch über einen Onlineshop erhältlich sein.
Somit entwickelt Flip über die Marke GRND möglicherweise ein erstes echtes Geschäftsmodell, zumal weitere Produkte mit einem ähnlichen Konzept denkbar sind. Bisher finanziert sich das Startup über Förderprogramme und Business Angels, doch die Kapitalisierung von Qualitätsjournalismus ist bekanntlich ein schwieriges Geschäft. Der Newsletter und die Webseite bieten ihre Informationen kostenlos und idealerweise sollte es weitgehend so bleiben. Die spannende Frage ist also, wie Flip journalistische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit unter einen Hut bringen kann. Zu wünschen wäre es auf jeden Fall.
Flip ist Mitglied im Hamburg Startups Club
Mit dem Hamburg Startups Club schreiben wir ein neues Kapitel in unserer Geschichte als führende unabhängige Startup-Plattform im Norden. Alle Mitglieder erhalten ein eigenes Profil auf unserer Webseite, Zugang zu exklusiven Netzwerkevents, online wie offline, und die einjährige Nutzung des Jobboards. Hier könnt ihr erfahren, wie ihr euch für eine kostenlose Mitgliedschaft bewerben könnt!
Beitragsbild: Mette Photography