Vulvani holt die Menstruation aus der Tabuzone
Unser Wettbewerb STARTERiN hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gründerinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und ins Rampenlicht zu rücken. Da konnte es kaum eine passendere Gewinnerin geben als Britta Wiebe. Sie sorgt nämlich mit ihrem Startup Vulvani ebenfalls für mehr Sichtbarkeit bei einem leider oft noch tabuisierten Thema: Menstruation.
„Die Menstruation … ist die periodisch wiederkehrende Blutung aus der Gebärmutter einiger Tierarten einschließlich des Menschen mit Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut, die als Periode von durchschnittlich vier bis fünf Tagen umgangssprachlich auch kurz Periode genannt wird.“ So steht es bei Wikipedia und rund die Hälfte der Menschheit hat einen wesentlichen Teil des Lebens damit zu tun. Also sollte über diesen natürlichen Vorgang eigentlich alles Wichtige bekannt sein.
Sollte. Tatsächlich wird die Menstruation immer noch häufig tabuisiert, auch in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften. Ein noch harmloses Beispiel ist die sogenannte Tamponfaust. Sie kommt zum Einsatz bei der verschämten Weitergabe von Tampons, die doch eigentlich mit offenen Händen erfolgen könnte. Die Tamponfaust kannte Britta Wiebe schon aus der Schulzeit, von „Free Bleeding“ hörte sie erst mit Mitte 20.
Free Bleeding lässt sich lernen und hilft Müll zu vermeiden
Free Bleeding, wörtlich übersetzt „freies Bluten“, ist der natürlichste Umgang mit der Menstruation bei Verzicht auf Tampons, Menstruationstassen oder andere Utensilien, um das Blut aufzufangen. Stattdessen gilt es, den Blutfluss ähnlich wie beim Harndrang zu kontrollieren und entsprechend regelmäßig die Toilette aufzusuchen. Für den Verzicht auf Tampons, das gängigste Hygieneprodukt für Menstruierende, gibt es einige Gründe: Kostenersparnis, Müllvermeidung und in seltenen Fällen können Tampons eine von Bakterien verursachte Krankheit begünstigen.
Je mehr sich Britta mit dem Thema beschäftigte, desto klarer wurde ihr, wie groß der Aufklärungsbedarf war. Vielleicht konnte sie dazu sogar einen wichtigen Beitrag leisten. Britta war nämlich schon länger auf der Suche nach einer Idee, mit der sie sich selbständig machen könnte. Sie hat mehrsprachige Kommunikation und Lateinamerikanistik studiert, unter anderem in Mexiko, wo sie auch als Deutschlehrerin gearbeitet hat. Ab August 2017 war sie gut zwei Jahre als Angestellte an einem Forschungsprojekt der Hochschule Fresenius beteiligt.
Den Wunsch nach einem eigenen Projekt, nach einem eigenen Unternehmen führte schließlich zu Vulvani. Im November 2019 erschien der erste Blogbeitrag. Schon nach ein paar Wochen war klar, dass Vulvani mehr sein konnte als ein Onlinemagazin als reine Nebenbeschäftigung. Bei der Ausarbeitung eines tragfähigen Geschäftsmodells hatte sie kompetente Unterstützung: Jamin Mahmood, auch privat ihr Partner. Jamin hat im Rahmen seines dualen BWL-Studiums für einen Ölkonzern gearbeitet und schon mehrere Startups gegründet. Für Sando & Ichi bekam er 2018 zusammen mit seinem Co-Founder Juuga Sakai sogar den Gastro-Gründerpreis. Mit ihm zusammen bildet Britta also ein Gründungsduo, das sich ergänzende Kompetenzen mitbringt, eine ideale Konstellation für jedes Startup.
Exklusiv und kostenlos bei Vulvani: Stockfotos zur Menstruation
Vieles gibt es kostenlos bei Vulvani, und das wird auch so bleiben. Dazu gehören beispielsweise ein Zyklus-Workbook und ein Vulva-Malbuch. Ein ganz besonderer Service ist eine Galerie mit kostenlosen Stockfotos rund um die Periode. Da ist bei manchen Motiven echtes Menstruationsblut zu sehen und nicht die blaue Ersatzflüssigkeit aus der Fernsehwerbung. Dieses Angebot gibt so sonst nirgendwo.
Im Juni 2021 ging der erste kostenpflichtige Videokurs online, zum Thema Free Bleeding. Inzwischen ist bereits ein weiterer mit dem Titel „Zyklusbewusstsein als Superpower“ hinzugekommen. Ein weiterer Geschäftsbereich sind „Fanartikel“ wie T-Shirts und Trinkbecher. Gerade der Shop bietet noch jede Menge Wachstumspotenzial, vor allem durch Drittanbieter für Menstruationsartikel, Bücher oder auch Mittel gegen Periodenschmerzen.
Vulvani als Plattform für eine entscheidende Lebensphase
Ziel von Vulvani ist es, eine Plattform aufzubauen, die die gesamte Lebensphase von der ersten Periode bis zur Menopause begleitet. Da werden dann natürlich auch Themen wie Kinderwunsch und Verhütung eine Rolle spielen. Dass das Startup damit nicht nur eine aufklärerische Rolle übernehmen, sondern auch ein erfolgreiches Geschäft etablieren kann, glaubt nicht nur das Gründerpaar. Die IFB Hamburg hat über ihr Programm InnoFounder bereits in Vulvani investiert und der Accelerator VentureVilla hatte es in seinen neunten Batch aufgenommen.
Es sei eine gute Zeit für Frauen zu gründen, meint Britta, die Unterstützung für Gründerinnen sei deutlich besser geworden. Direkte Vorbilder habe sie nicht gehabt, aber die Gründerinnen Kati Ernst und Kristine Zeller von ooia oder Lea-Sophie Kramer von Amorelie seien Beispiele für Frauen, die sie inspiriert haben. Sie selbst rät angehenden Gründerinnen, den Mut zu haben einfach loszulegen, auf das Bauchgefühl zu hören, aber auch Feedback einzuholen, ohne sich dabei jeden einzelnen Kritikpunkt zu Herzen zu nehmen. Und zu viel Perfektionismus sei auch nicht gut. Vielleicht passt also das Motto von Vulvani in vielerlei Hinsicht: „Let it flow!“