U-LYB: „Der BH ist der Rolls-Royce unter den Textilien“
Maßgeschneiderte Mode und Technologie verbindet das Hamburger Startup U-LYB. Dabei nimmt es sich gleich einen besonders schwierigen Fall vor, nämlich den BH. Der passt selten so, wie er sollte. Zeit, dass sich das ändert.
„Wo drückt der Schuh?“ ist eine beliebte Redewendung, deren Sinn leicht zu verstehen ist. Die meisten Füße lassen sich nicht so leicht in Schuhe der gängigen Größen zwängen, oft ist auch der linke Fuß etwas größer oder kleiner als der rechte. Die Folge, zumindest bei neuen Schuhen: zusammengedrückte Zehen, Blasen an der Ferse und ähnliches.
Die Idee entstand wie oft bei Startups aus eigener leidvoller Erfahrung
Eigentlich könnte der Spruch genauso gut „Wo drückt der BH?“ lauten, denn weibliche Brüste halten sich nur selten an die handelsüblichen Größen, obwohl die Auswahl dort groß scheint. Wie viele andere Frauen hatte auch Melanie Wagenfort mit schlecht sitzenden und zwickenden Büstenhaltern zu kämpfen und war beim Kauf schlecht beraten worden. Das muss doch nicht sein, dachte sich die Unternehmensberaterin, die BWL und Sozialpsychologie studiert hat, und belegte zunächst Nähkurse, um mehr über die Herstellung von BHs zu erfahren.
Sie entwickelte die Geschäftsidee, maßgeschneiderte Büstenhalter online anzubieten, und brachte diese mit ins Grace Summer Camp 2018. Die Veranstaltung in Berlin bot Frauen im Juli über einen Zeitraum von zwei Wochen die Gelegenheit, sich intensiv mit dem Thema Gründung auseinanderzusetzen. Eine weitere Teilnehmerin war Lea Matschke, die schon in einem Textilunternehmen und für ein Startup gearbeitet und ihren BWL-Master gemacht hat.
Die beiden verstanden sich gut und taten sich zusammen, um Melanies Idee voranzutreiben. Die besteht darin, dass Frauen im ersten Schritt von ihren Brüsten einen 3D-Scanning machen lassen. Hierfür nutzen sie im Moment eine Fremdapp mit einem iPad-Aufsatz. Diese Technologie ist bereits seit einigen Jahren am Markt. Bei neueren Handys wie dem iPhone X wird das aber bald schon auch über eine App möglich sein. Die so erhobenen Daten bekommt dann U-LYB – so heißt das Startup von Melanie und Lea – und verwendet sie für die Herstellung eines passgenauen BHs.
„Ein BH ist wie eine zehndtöckige Hochzeitstorte“
U-LYB steht für „Underwear that loves your body“. Dazu gehören selbstverständlich auch Slips, doch mit denen beschäftigt sich das Startup momentan noch nicht. „Ein Slip ist wie eine Fanta-Torte, ein BH eher wie eine zehnstöckige Hochzeitstorte“, vergleicht Melanie die beiden Kleidungsstücke. Auch schön: „Der BH ist der Rolls-Royce unter den Textilien.“ Tatsächlich ist die Herstellung eine kleine Wissenschaft für sich, schließlich muss auf den Millimeter genau gearbeitet werden, sonst nützt auch die präziseste Vermessung nichts.
Zudem braucht man für die Produktion zwölf verschiedene Materialien: ein elastischer Stoff hinten, ein nicht elastischer Stoff vorne, einer, um die Brust zu stützen, einer für die Verzierung, Material für die Träger und Verschlüsse und so weiter. Um den Einkauf kümmern sich Melanie und Lea selbst, für die Fertigung der Prototypen finden aktuell Gespräche mit deutschen Produzenten statt. Zum erweiterten Team gehören noch ein 3D-Experte, eine Bekleidungstechnikerin und eine Textildesign-Studentin, die gerade ihren Abschluss gemacht hat. Sie stehen bei Bedarf zur Verfügung, sind aber nicht fest angestellt.
Überhaupt gibt es das Unternehmen U-LYB als solches rein rechtlich noch gar nicht. Für die Gründung fehlt bisher ein CTO, also jemand, der sich mit der technischen Seite auskennt. Ob Mann oder Frau spielt da keine Rolle. Da es momentan noch kein marktreifes Produkt und folgerichtig keine Umsätze gibt, arbeiten die beiden Jungunternehmerinnen in Teilzeit, Melanie in Hamburg und Lea in Köln. Im Beehive in der Steinstraße haben sie ab Januar 2019 zumindest für fünf Monate ein gemeinsames Büro. Kostenlos, als Gewinnerinnen bei einem Startup-Wettbewerb des Coworking Spaces.
U-LYB soll 2020 marktreif sein
Wenn alles klappt, können die ersten Kundinnen Anfang 2020 bei U-LYB bestellen. Ein BH wird voraussichtlich unter 200 Euro kosten, aber auf jeden Fall einen dreistelligen Betrag. Damit bewegt man sich im Hochpreissegment. Diverse Kundinnenbefragungen und der Austausch über Foren haben aber ergeben, dass genug Nachfrage vorhanden sein sollte. Der besteht auch bei der Sport- und Bademode, ein Geschäftsfeld, das mittelfristig auf dem Plan steht. Unterstützt wird U-LYB jetzt schon vom Startup Dock, so bei der Beantragung von Fördergeldern. Investoren, die in das „Boob-Tech-Business“ (Originalzitat Melanie) einsteigen möchten, sind dann später auch willkommen.
Das Geschäftsfeld ist noch ziemlich neu, es gibt weltweit vielleicht zwei bis drei nennenswerte Konkurrenten. Das japanische Unternehmen Zozo beispielsweise bietet maßgeschneiderte Jeans und T-Shirts. Dafür muss man allerdings in einen engen Ganzkörperanzug schlüpfen, der mit weißen Tupfen verziert ist, die als Vermessungspunkte dienen. Da ist U-LYB technisch selbst in dieser frühen Testphase schon einen Schritt weiter. Vielleicht wird Hamburg ja bald für den maßgeschneiderten BH das, was London für den Maßanzug ist: Das Maß aller Dinge.