Sympatient – ein Startup bekämpft die Angst
Angst ist ein natürliches Grundgefühl und kann im Extremfall lebenserhaltend sein. Zum Problem wird sie, wenn sie sich ins Krankhafte steigert. Millionen Menschen leiden unter Angststörungen, vielen fehlt die Möglichkeit einer Therapie. Das Startup Sympatient zeigt einen neuen Weg aus der Krankheit und setzt dabei auf virtuelle Realitäten.
Klar, Angst hat jeder einmal, und in realen Gefahrensituationen ist sie oft ein gar nicht so schlechter Ratgeber, wie das Sprichwort behauptet. Was aber, wenn die Angst zum ständigen Begleiter wird und das ganz normale Alltagsleben zur Qual macht? Diese Form der psychischen Störung ist keine Seltenheit. Hundertprozentig verlässliche Zahlen gibt es nicht, aber seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass allein Deutschland mindestens 10 Millionen Menschen im Laufe ihres Lebens mit Angststörungen zu tun haben.
Angststörungen gibt es in vielen Formen
Die geläufigste ist die Agoraphobie, zu Deutsch Platzangst. Sie wird häufig mit der Klaustrophobie verwechselt, der Angst vor Enge. Agoraphobie bezeichnet in ihrer wörtlichen Übersetzung dagegen die Angst vor großen Plätzen. Allgemein gesprochen ist sie eine Angst vor dem Kontrollverlust in Situationen, aus denen Betroffene nicht schnell entkommen können. Das sind typischerweise Alltagssituationen an Schauplätzen wie einem Supermarkt, einer Menschenmenge oder eben einem leerern Platz. Daneben gibt es generalisierte Angststörungen und spezifische Phobien, wie die Angst vorm Fliegen, vor Spinnen oder sogar vor für andere banalen Alltagsgegenständen.
Eine der gängigsten Gegenmaßnahmen ist die Konfrontationstherapie. Die Patienten stellen sich dabei gut vorbereitet den Auslösern ihrer Ängste, schrittweise in immer stärkeren Dosen. Der Psychologe Julian Angern hat schon während seines Studiums am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck festgestellt, dass längst nicht alle Angstpatienten die optimale Behandlung erhalten können. Für viele steht ein Therapieplatz erst nach langer Wartezeit zur Verfügung, andere möchten die Therapie lieber selbst in die Hand nehmen.
Also fing Julian an, Angstsituationen in Virtual Reality-Szenen nachzustellen. Bald wurde ihm klar, dass sich daraus ein Geschäftsmodell entwickeln ließe. Also holte er seinen Bruder Christian Angern und dessen Kommilitonen Benedikt Reinke ins Boot, die beide in England studierten und dort ihren Master in Wirtschaftsinformatik machten. Damit war das Gründertrio für Sympatient gefunden. Die offizielle Gründung des Startups datiert auf November 2017. Bereits ein Jahr früher startete eine klinische Studie am UKSH, welche die Wirksamkeit der VR-Methode bei Angststörungen untersuchte. Die Ergebnisse waren ermutigend.
Sympatient setzt auf Virtual Reality
Das Verfahren ist im Prinzip ganz einfach. Der Patient setzt sich eine VR-Brille auf und bekommt über eine App Szenen vorgespielt, die ihn mehr und mehr in eine ihm bedrohlich erscheinende Lage versetzen. Schauplätze können zum Beispiel ein Aufzug, ein Flugzeug oder eine U-Bahn sein, die sich zunehmend mit Passagieren füllt. Der Patient entscheidet selbst, wie weit er dabei gehen will. Eine Panikattacke ist dabei im schlimmsten Fall nicht ausgeschlossen, aber es besteht ja jederzeit die Möglichkeit sich die Brille vom Kopf zu reißen.
Sympatient strebt zurzeit an, seine App und das damit verbundene Verfahren als Medizinprodukt zertifizieren zu lassen. Das dürfte wohl klappen, und da dort die Hürden sehr hoch sind, spricht das eindeutig für die Seriosität der Methode. Auch in Sachen Datenschutz, der bei Gesundheitsthemen besonders beachtet werden muss, ist Sympatient auf der sicheren Seite. So werden über die App nur die Virtual Reality-Szenen und psychoedukative Inhalte abgespielt, aber keinerlei Daten über den Therapieverlauf oder -erfolg gesammelt.
Am Geschäftsmodell wird gerade gearbeitet
Ein Anwendungsbereich, den Sympatient bereits vermarktet, ist die Flugangst. Unter sicherfliegen.de können Betroffene ein VR Headset und einen Zugangscode für die App bestellen. Ansonsten ist das Startups bezüglich des Geschäftsmodells und der Vertriebswege noch in der Findungsphase. Langfristig ist sicherlich die Förderung durch Krankenkassen das Ziel. Sympatient bekommt aber schon jetzt von vielen Seiten Unterstützung.
Die Verbindung zum UKSH ist nach wie vor eng. Außerdem hat das Startup ein Gründerstipendium der gemeinnützigen Aktiengesellschaft AGAPLESION bekommen, verbunden mit einer Teilnahme am Flying Health Incubator. Und dann ist Sympatient auch noch InnoRampUp-gefördert und hat kürzlich beim Gründergeist-Wettbewerb den zweiten Platz belegt. Seinen Sitz hat das junge Unternehmen mittlerweile in Hamburg, genauer gesagt in den Zeisehallen im Coworking-Bereich von 20Scoops. Zum Team gehören neben den Gründern noch Susann Baumgart, die VR-Szenen gestaltet, und CTO Jan-Niklas Rösch sowie drei Werkstudenten. So wie es momentan aussieht, sollten sie zumindest keine Zukunftsängste plagen.