Startup-Jahr 2022: gut oder schlecht für Hamburg?
Zwei in diesen Tagen erscheinene Studien zum Startup-Jahr 2022 bieten reichlich Diskussionsstoff. Die eine beschäftigt sich mit den abgeschlossenen Finanzierungsrunden, die andere mit der Zahl der Neugründungen. Bei beiden ist die Tendenz negativ. Wir haben uns die Ergebnisse genauer angeschaut und dabei einen besonderen Fokus auf Hamburg gesetzt.
Trotz Minus war 2022 kein schlechtes Jahr für Finanzierungen
Seit 2015 gibt des das Startup-Barometer der Unternehmensberatung EY. In dieser Studie werden alle Finanzierungsrunden in Deutschland zusammengefasst und dazu nach Branchen und Bundesländern ausgewertet. 2021 war ein absolutes Rekordjahr, der Gesamtbetrag von 17,36 Milliarden übertraf den bis dahin gültigen Höchstwert aus dem Jahr 2019 fast um das Dreifache. Für 2023 war da ein Rückgang fast unvermeidlich, zumal angesichts der durch den Ukrainekrieg ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen. Tatsächlich verzeichnet der Report ein Minus von 43 %.
Das klingt nach einer mittleren Katastrophe, die sich allerdings bei genauerer Betrachtung ziemlich schnell relativiert. So ist die Zahl der Finanzierungsrunden nur um 13 % gefallen, von 1.160 auf 1.008. Und das Gesamtergebnis von 9,953 Milliarden Euro ist immer noch klar das zweitbeste seit Start der Erhebungen. Schaut man sich die Halbjahre an, so wird deutlich, dass von Juli bis Dezember die Finanzierungsbereitsschaft erheblich nachließ. Trotzdem ist das 2. Halbjahr 2022 immer noch das viertbeste der Barometer-Geschichte. Die zuletzt von vielen Startups zu Recht festgestellte Zurückhaltung bei den Investitionen ist also eher ein Rückgang zur Normalität als ein Zeichen der Krise.
Das Plus für Hamburg ist einem Unternehmen zu verdanken
Bei Hamburg stehen die Zeichen sogar auch Wachstum. Zwar ist die Zahl der Deals von 81 auf 72 leicht gesunken, die Geldsumme gegen den Trend von 459 Millionen auf 547 Millionen Euro dagegen spürbar gestiegen. Doch auch dieses positive Resultat ist mit Vorsicht zu genießen, denn allein 200 Millionen Euro gehen auf das Konto eines einzigen Unternehmens, 1KOMMA5°. Damit steht es in den Top den der größten Dinanzierungsrunden. Insgesamt wurde die 100-Millionen-Schwelle 19 Mal erreicht; 2022 waren es noch 33 Mal. Das ist ein Grund für das gesunkene Gesamtergebnis. Bei den Deals zwischen 5 und 50 Millionen ging es dagegen bergauf (246 zu 228).
Kaum noch erwähnenswert, dass Berlin nach wie vor in anderen Sphären unterwegs ist als der Rest der Republik. 4,898 Milliarden Euro flossen an Startups aus der Hauptstadt, also knapp die Hälfte. In dieser Rangliste nimmt Hamburg einen durchaus respektablen vierten Rang ein, hinter Bayern, mit der Vize-Startup-Metropole München, und Baden-Württemberg. Bei den Branchen war „Software & Analytics“ mit 3,244 Milliarden Euro am erfolgreichsten und damit nur knapp unter Vorjahr (3,587 Milliarden). 200 Millionen Euro entfielen auf Hamburg. Einen echten Einbruch gab es dagegen bei „E-Commerce“: von 3,711 Miilarden auf 635 Millionen Euro. Auch „FinTech/InsurTech“ erlebte 2022 kein gutes Jahr.
Deutliche Rückgänge bei den Neugründungen
Die Resultate aus EY Startup-Barometer geben also keinen Anlass für Jubelstürme, aber auch keinen zu Resignation. Erste positive Wirtschaftsdaten aus 2023 lassen hoffen, dass Ende letzten Jahres verzögerte Finanzierungsrunden bald nachgeholt werden könnten. Mehr Grund zur Sorge scheint da schon eine andere aktuelle Studie zu bieten. Next Generation heißt sie und bietet einen Überblick über die Startup-Neugründungen in Deutschland. Sie stammt vom Bundesverband Deutsche Startups, der auch den Deutschen Startup Monitor veröffentlicht, und dem Informationsfienst startupdetector. Die Studie wertet das Gründungsgeschehen seit 2019 aus und ermittelt für 2022 einen signifikanten Rückgang.
Demnach wurden im vergangenen Jahr 2.618 neue Startups gegündet. 2021 waren es noch 3.196, das Minus beträgt 18 %. Besonders stark ist der Negativtrend in Hamburg: -30 %. Nur in den für Startups wenig bedeutenden Bundesländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Saarland ist der Rückgang noch stärker. Die -29 % in Berlin sind da auch kein echter Trost. Aber wie sind die Ergebnisse tatsächlich einzuordnen?
Wie gesagt, ist Next Generation eine noch ziemlich neue Studie und ermöglicht keine längerfristige Betrachtung wie beim Startup-Barometer. So lag im frühsten erhobenen Jahr, 2019, das Ergebnis mit 2.416 Gründungen noch unter dem von 2022, 2020 mit 2.732 Gründungen auch nur knapp darüber. Für Hamburg wurden keine detaillierten Ergebnisse aus der Zeit vor 2021 veröffentlicht. Auffällig bei den Resultaten aus dem vergangen Jahr ist, dass es vor allem im 2. Halbjahr spürbar bergab ging. Das deckt sich mit den Erkenntnissen von EY.
Hamburg nur auf Platz 8 bei Gründungen pro Kopf
Berlin ist bei den Finanzierungsrunden unangefochten die Nummer 1, und scheinbar gilt das auch für die Neugründungen: 501 waren es 2022. Ein akkurateres Bild ergibt aber der Wert bei den Gründungen pro Kopf, wo die Einwohnerzahl herangezogen wird. Hier holt sich München mit 14,5 pro 100.000 die Spitzenposition. Hamburg bringt es nur auf einen Wert von 7,7 und Platz 8, trotz immerhin 143 Neugründungen (München: 215). Vor der Hansestadt liegen bei dieser Auswertung noch Frankfurt, Aachen, Heidelberg, Köln und Karlsruhe. In einigen dieser Städte spielen offenbar die dortigen Universitäten eine wesentliche Rolle.
Die größten Branchen bei den Neugründungen sind Software (383), Medizin (314), Lebensmittel (209) und E-Commerce (186). Letztere ist auch die Branche mit dem größten Rückgang, nämlich 39 %. Das kann mehrere Gründe haben. Zum einen ist der von Corona ausgelöste Boom des Onlineshoppings abgeebbt und das Geld sitzt insgesamt nicht mehr so locker. Zum anderen sind die Geschäftsideen hier weitgehend ausgereizt, echte Marktlücken und Innovationen schwer zu finden. Mehr Neugrünungen als zuvor gibt es im Bereich Blockchain/Krypto, in der Umwelttechnologie und, etwas überraschend, bei den Medien.
In welchen Branchen besonders stark oder schwach aufgestellt ist, weist Next Generation nicht aus. Sie hat aber einige Cluster identifiziert, so Software in Berlin, Mobilität in Bayern und Software in Bayern und Berlin. Dieser Fokus fehlt in Hamburg, vielleicht ein Grund, warum Berlin und auch München als Startup-Metropolen immer mehr Vorsprung gewinnen.