Scott Galloway: „Europa und Hamburg, wir brauchen Euch!“
An einem mangelt es dem amerikanischen Marketingprofessor Scott Galloway garantiert nicht: Selbstbewusstsein. Genussvoll mischt er die Szene auf mit steilen Thesen und gewagten Prognosen, die sich dann oft als richtig erweisen. Besonders abgesehen hat er es auf die ganz großen Tech-Unternehmen, die er am liebsten zerschlagen möchte. Sie standen auch im Mittelpunkt seines Vortrags kürzlich bei den Online Marketing Rockstars, dessen Höhepunkte wir hier zusammenfassen.
2016 hatte Galloway seinen ersten Auftritt bei den Online Marketing Rockstars. Damals sorgte er vor allem mit seinem Rundumschlag gegen die „Viererbande“ oder „Apokalyptischen Reiter“ für Furore. Gemeint waren und sind die marktbeherrschenden Technologieunternehmen Google, Amazon, Facebook und Apple (Kurzform: GAFA). Ein Schneesturm hinderte ihn daran, auch 2018 persönlich in Hamburg zu erscheinen. Trotzdem war er auch per Liveschaltung aus New York präsenter als jeder andere Speaker an diesem Tag.
Richtig vorhergesagt: Amazon übernimmt Whole Foods
Gleich zu Beginn stellte er eine Vorhersage aus dem Jahr 2016 heraus, die sich hundertprozentig bewahrheitet hatte. Nicht nur hatte Galloway richtig vermutet, Amazon würde ein Unternehmen aus dem konventionellen Handelsbereich („brick and mortar“) übernehmen, er nannte mit Whole Foods auch den korrekten Kandidaten. Im Sommer 2017 schnappte sich das Internetkaufhaus tatsächlich die Biosupermarktkette für 13,7 Milliarden US-Dollar.
Die Folgen: Während Amazon die Akquirierungskosten allein durch die Kurssteigerung praktisch schon wieder ausgleichen konnte, purzelten bei den Mitbewerbern die Aktienbewertungen und fielen die Preise bei verschiedenen Lebensmitteln in den USA. Diese Entwicklungen stehen beispielhaft für die Marktmacht, die Amazon mittlerweile erreicht hat und die weit über den ursprünglichen E-Commerce-Bereich hinausgeht. Für die nahe Zukunft prophezeit Galloway weitere Übernahmen, beispielsweise des französischen Einzelhandelsunternehmens Carefour oder der amerikanischen Kaufhauskette Nordstrom.
Nur in einem Bereich ist Amazon noch nicht absolut dominant, nämlich bei den Luxusmarken, vor allem im Modesegment. Hier sieht Galloway noch Chancen für andere Unternehmen, namentlich auch Zalando. Allerdings könnte sich diese Tür bald schließen, denn eine weitere Vorhersage lautet, dass 2018 mindestens zwei Edellabels den „Koloss aus Seattle“ als Verkaufsplattform testweise nutzen werden. Von den 15 bis 20 sonstigen globalen Marktplätzen, die ihr Glück versuchen werden, werden 95 Prozent scheitern.
Der Snapchat-Hype ist vorbei, Instagram die neue Macht
2016 sah es noch so aus, als könnte Snapchat das Duopol von Facebook und Google durchbrechen. Galloway wollte das schon zu der Zeit nicht glauben und sieht sich heute bestätigt. Stattdessen ist mittlerweile Instagram die größte Marketingmacht, und die gehört bekanntlich zu Facebook. Überhaupt hat Facebook so ziemlich alle Features von Snapchat für einem seiner Kanäle übernommen (inklusive WhatsApp), ob das nun immer sinnvoll war oder nicht. Das Ergebnis ist jedenfalls die weiter schwindende Bedeutung von Snapchat, prognostiziert Galloway und zieht Parallelen zu Twitter.
Außerdem verabschiedet er sich schonmal von dem Facebook Messenger für Kinder und den meisten Chatbots, die die überzogenen Erwartungen nicht erfüllen konnten. Nur im Kundenservice werden sie in Kombination mit Elementen der künstlichen Intelligenz und echten Menschen als Ansprechpartnern überleben. Wenn wir schon bei Abgesängen sind: Den stimmt Galloway auch auf den Komplex der althergebrachten Werbeindustrie („advertising industrial complex“) an. Davon besonders betroffen wird das lineare Fernsehen sein. Die Zuschauer haben einfach keine Lust auf TV mit ständigen Werbeunterbrechungen und vorgeschriebenen Sendezeiten und steigen immer mehr auf Streamingdienste um.
Eine bessere Zukunft als man erwarten sollte verspricht er dem Einzelhandel, wenn er geschickt für die Markenbildung genutzt wird. Out sind mittelmäßige Produkte, die durch Werbekampagnen mit positiven Eigenschaften aufgeladen werden, gefragt sind Produkte, die immer besser werden, je mehr Menschen sie nutzen. Das kann durch Verbessung von Software geschehen, aber auch durch mehr Service. Galloway nennt das „reverse aging“.
VR? IoT? 3D? Alles Quatsch, „voice“ gehört die Zukunft!
Es folgt ein wahres Buzzword-Massaker. Virtual Reality? Eine enorme Entäuschung. Internet of Things? Ergibt überhaupt keinen Sinn. Wearables? Die Leute wollen keine Technologie am Körper rumschleppen. 3D-Druck? Lächerlich! Die USA und Europa haben doch längst den idealen 3D-Drucker gefunden: China! Einem Trend traut Galloway allerdings zu die Welt zu verändern: „voice“. Sprachassistenten werden zum beherrschenden Betriebssystem in den Haushalten, und Amazon wird mit Alexa auch diese Schlacht für sich entscheiden.
Bei YouTube gibt es den gesamten Vortrag zu sehen.
Wie können sich Mitbewerber gegen eine solche Übermacht überhaupt wehren? Durch Zusammenschlüsse, auch der unerwarteten Art, glaubt Galloway. Google und Alibaba könnten da gute Partner sein, andere Kombinationen werden dagegen wirkungslos bleiben. Als einziges Unternehmen der alten Schule hat Disney eine echte Chance, den digitalen Aufsteigern die Stirn zu bieten. Die kürzlich erfolgte Übernahme von 20th Century Fox durch den Konzern mit der Maus ist da ein Indiz.
Galloway: Zerschlagt die Tech-Giganten!
Und was kann man sonst noch tun? Nun kommt Galloway zu seinem Lieblingsthema, nämlich der Zerschlagung der großen Vier (oder Fünf, wenn man Microsoft noch dazuzählt). Die emotionale Begründung dafür liefert er gleich mit: Diese Unternehmen seien einfach böse („evil“). Sie ermöglichen die Verbreitung von „Fake News“, weigern sich aber die Verantwortung zu übernehmen. So bestreitet Facebook immer wieder, überhaupt ein Medienunternehmen zu sein.
Nicht erst seit dem Skandal um Cambridge Analytica steht Facebook unter Beschuss, sich nicht ernsthaft um Datenschutz zu kümmern. So hatte der Konzern bei der Übernahme von WhatsApp versprochen, das keinen Datenaustausch zwischen Facebook und der Neuerwerbung geben werde. Als der dann doch stattfand, war die Strafzahlung an die EU in Höhe von 122 Millionen US-Dollar nicht viel lästiger als ein Knöllchen für Falschparken.
Früher haben sich die klügsten Köpfe zusammengetan, um Menschen auf den Mond zu bringen, heute, um einen Nissan zu verkaufen. So illustriert Galloway seine Frustration über die Internetgiganten und legt nach: Sie zahlen kaum Steuern, zerstören Jobs und schwächen den Wettbewerb und den Mittelstand. Deshalb müssen Regulierungen her, die im Idealfall dazu führen, dass die Großunternehmen aufgeteilt werden. Bei der Umsetzung dieser radikalen Forderung hofft er vor allem auf Europa. Unkonventionelle Ideen innovativer Entrepreneure können natürlich auch nicht schaden. Daher lautete sein Schlussappell bei den Online Marketing Rockstars: „Europe and Hamburg, we need you!“