QualiFiction hilft mit künstlicher Intelligenz bei der Suche nach Bestsellern
Gibt es eine Formel, mit der sich die Bestsellerqualität eines Buchs vorhersagen lässt? Das Hamburger Startup QualiFiction bejaht diese Frage und stellt nächste Woche auf der Frankfurter Buchmesse den ersten potenziellen Erfolgsroman vor, den eine künstliche Intelligenz ermittelt hat.
Die Schriftstellerin J. K. Rowling musste eine Reihe von Absagen überstehen, bis sie endlich einen Verlag für ihr Erstlingswerk gefunden hatte. Aber auch der war anscheinend nicht sonderlich überzeugt von der Geschichte eines Zauberschülers namens Harry Potter und startete mit einer Auflage von nur 500 Exemplaren. Der Rest ist, wie es immer so schön heißt, Geschichte. Harry Potter ist ein besonders prominentes Beispiel dafür, wie schwer es fällt, einen zukünftigen Bestseller zu erkennen.
3,8 Millionen Manuskripte pro Jahr stellen Verlage vor bisher unlösbare Aufgabe
Diese Aufgabe übernehmen in den Verlagen Lektorinnen und Lektoren. Eine Herkulesaufgabe, denn allein in Deutschland landen auf ihren Tischen jährlich 3,8 Millionen Manuskripte. Diese alle auch nur zu überfliegen, geschweige denn gründlich zu lesen, ist schlicht unmöglich. Die Gefahr, dass dort viele potenzielle literarische Hits untergehen, ist riesig.
Die aus Lübeck stammende Gesa Schöning ist in der Welt der Bücher aufgewachsen, ihre Eltern hatten eine eigene Buchhandlung. Gesa hat Kulturwissenschaften studiert und schon einige Startup-Erfahrungen gesammelt: Zunächst war sie für ein Medizintechnik-Startup tätig, dann wurde sie Geschäftsführerin bei Embella, das Beutel für die Entsorgung von Tampons herstellt. Das Bücherthema ließ sie dabei nie ganz los, sie dachte über eine Methode nach, mithilfe von Software die Bestsellertauglichkeit von Prosatexten zu ermitteln.
Mitgründer übers Internet gefunden
Um aus der Idee ein Geschäftsmodell entwickeln zu können, suchte sie über die Plattform Founderio (ehemals Mitgründer.com) einen Mitgründer. Unter den Bewerbern stach Dr. Ralf Winkler hervor, ein promovierter Mathematiker, der schon bei Zalando mit künstlicher Intelligenz gearbeitet hatte. Beide kündigten ihre bisherigen Jobs, sodass sie sich seit Anfang 2017 ganz ihrem eigenen Unternehmen QualiFiction widmen können, bei dem sie gleichberechtigte Geschäftsführer sind.
Die Frage, ob es eine Formel für Bestseller gibt, ist das große Thema von QualiFiction. Um darauf eine Antwort zu finden, bekam das Startup von einer renommierten Verlagsgruppe Tausende von Romantexten zur Verfügung gestellt, zusammen mit den Daten zum kommerziellen Erfolg dieser Bücher. Auf dieser Basis entstanden die Algorithmen, mit denen QualiFiction zwei grundsätzliche Auswertungen macht.
t
Zuerst ist da die allgemeine Textanalyse, genannt LiSA (Literatur Screening & Analytic). Hier geht es um die Komplexität und Originalität der Sprache eines Werks, die Themen, die Stimmung, das Genre und ähnliche Dinge. Die Auswertung übernimmt eine künstliche Intelligenz, die zunächst von Menschen trainiert wurde. Ein Beispiel: Um die Stimmung eines Textes auszuloten, haben Literaturexperten bestimmte Wörter und Formulierungen danach kategorisiert, ob sie eher freundlich-fröhliche (+1), neutrale (0) oder düster-bedrohliche (-1) Bedeutung haben.
Ein heiterer Familienroman sollte sich da bevorzugt im positiven Bereich abspielen, während ein Krimi mit eher negativen Werten aufwartet. Wenn dann am Schluss die Stimmungskurve nach oben steigt, hat wahrscheinlich die Gerechtigkeit gesiegt. Wie das Beispiel zeigt, gibt es keine allgemeingültigen Kriterien für die Qualität eines Textes. Es hängt von den genretypischen Anforderungen ab, und die sind bei einem Liebesroman nun mal andere als bei einem Fantasyepos.
Die Trefferquote nähert sich 80 %
Der zweite Service von QualiFiction betrifft die Beurteilung der Bestsellerqualitäten eines Textes. Als Referenz dient dabei die Bestsellerliste des Spiegels. Ein Buch, das sich dort platzieren kann, gilt als kommerzieller Erfolg. Der QualiFiction-Algoritmus hat bei diesen Werken bestimmte Muster erkannt, die bei neuen Manuskripten die Erfolgschancen berechnen lassen. Dabei gibt es durchaus auch Pluspunkte für innovative Geschichten und originelle Sprache. Die Treffergenauigkeit liegt mittlerweile bei 78 %. Die lässt sich dadurch ermitteln, dass die Software bereits bekannte Verkaufsschlager zu lesen bekommt und dann verglichen wird, wie weit Vorhersage und tatsächlicher Erfolg übereinstimmen.
Das geht tatsächlich in Sekundenschnelle. Ein enormer Vorteil angesichts der erwähnten Masse an Texten, die bei den Verlagen eingehen. QualiFiktion will dabei nicht das Lektorat vollständig digitalisieren und den menschlichen Faktor ausschalten. Der Service soll dabei helfen, viel mehr Manuskripte als bisher sichten zu können und damit die Chancen von Autoren beachtet zu werden erhöhen. Die letzte Entscheidung, ob ein Buch veröffentlicht werden soll oder nicht, trifft am Ende immer noch ein Mensch.
Nach fast zwei Jahren intensiver Arbeit, an der inzwischen auch eine Entwicklerin und ein Entwickler beteiligt sind, ist QualiFiction jetzt marktreif. Bisher erhielt das Startup zunächst eine Förderung durch ein EXIST-Stipendium und momentan durch das InnoRampUp-Programm. Eine Reihe von Verlagen hat bereits Interesse bekundet die Software zu nutzen, die bisher ausschließlich auf deutschsprachige Belletristik ausgelegt ist. Es gibt aber auch schon Anfragen aus dem englischsprachigen Ausland. Mittelfristig könnte QualiFiction zudem neue Autoren als Zielgruppe erschließen, die sich über die Bestsellertauglichkeit ihrer Werke ein Bild machen wollen.
Auf der Frankfurter Buchmesse stellt QualiFiction seinen ersten Bestsellerkandidaten vor
Für einen dieser Nachwuchsschriftsteller wird der 12. Oktober 2018 zum persönlichen Feiertag. Dann wird nämlich auf der Frankfurter Buchmesse der Gewinner des QualiFiction-Autorenwettbewerbs bekannt gegeben. Rund 200 Teilnehmer hatten ihre Romane eingereicht, eine Vorauswahl der aussichtsreichsten Kandidaten ging dann an einen Verlag, der den Sieger ausgewählt hat und dessen Buch auch veröffentlichen wird. Die letzte Entscheidung haben also wieder Menschen getroffen. QualiFiction hat auch nicht vor, Schriftsteller durch Algoritmen zu ersetzen und Bücher von Computern schreiben zu lassen. Das Startup möchte vielmehr dazu beitragen, dass der nächste Harry Potter nicht erst eine Odyssee durch die Verlagswelt antreten muss, sondern gleich die verdiente Beachtung findet.
Alle Bilder: QualiFiction