Picue bringt Gruppendynamik in die sozialen Medien
Vom „Ich“ zum „Wir“ – das ist das Ziel der neuen App Picue. Mit ihrer Hilfe sollen Gruppen und Mannschaften Geschichten erzählen, die weit über die üblichen Postings in sozialen Medien hinausgehen. Um sich seinen Startup-Traum zu erfüllen, hat der Gründer Marcell Jansen sogar seine erfolgreiche Fußballkarriere an den Nagel gehängt.
Als Marcell im Sommer 2015 verkündete, er werde seine Profikarriere beenden, löste das allgemeine Verwunderung aus. Schließlich war er zu diesem Zeitpunkt noch keine 30 Jahre alt, und ernsthafte Verletzungen plagten ihn damals auch nicht. Sein Vertrag beim HSV war zwar gerade ausgelaufen, doch der 45-fache Nationalspieler hätte sicherlich problemlos einen attraktiven Verein als Arbeitgeber finden können. Stattdessen wolle sich aber lieber um die Förderung von Startups kümmern, begründete er seinen Rücktritt vom Profifußball.
Startup-Gründung vs. Fußballkarriere 1:0
Die ganze Geschichte erzählt Marcell allerdings erst seit Ende Januar 2018, denn da wurde seine App Picue erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie war der eigentliche Grund für seinen frühzeitigen Rückzug aus dem Fußballgeschäft. Die Idee für Picue hatte er schon vor mehr als drei Jahren. Selbstverständlich interessierte er sich in den sozialen Medien besonders für Inhalte, die sich speziell mit Fußball beschäftigten. Leider gab es da nicht viel, was wirklich spannend war. Eine Menge Spieler sind zwar auf Facebook oder Instagram präsent, aber oft nicht selber aktiv. Social Media Manager erledigen die Posts, denen es dann schnell an Authentizität und persönlicher Note fehlt. Außerdem besteht bisher nicht die Möglichkeit, einem Fußballteam als Summe seiner Mitglieder zu folgen.
Was damit gemeint ist, lässt sich an der Funktionsweise von Picue erklären. Die Anwender haben die Möglichkeit Gruppen zu bilden; bleiben wir für unser Beispiel bei einer Fußballmannschaft. Jeder einzelne Spieler, der dieser Gruppe angehört, kann Filme und Fotos posten, die bei Picue „Momente“ heißen. Die haben beispielsweise Trainingseinheiten zum Thema oder ermöglichen einen Blick in die Umkleidekabine. Durch die Aneinanderreihung dieser Momente entsteht eine Art Geschichte, weshalb Marcell sein Konzept auch mit „Group Story Network“ beschreibt.
Private und öffentliche Gruppen erzählen Geschichten
Picue kennt zwei Arten von Gruppen, nämlich öffentliche und private. Bei den privaten Gruppen können ausschließlich die Mitglieder die Postings sehen. Das ist sinnvoll bei Ereignissen, die nur für einen kleinen, geschlossenen Personenkreis interessant sind, etwa Geburtstagsfeiern oder Urlaubsreisen. Öffentliche Gruppen dagegen wenden sich an ein größeres Publikum. Neben den schon erwähnten Sportvereinen könnten sich zum Beispiel auch Modebloggerinnen zusammenschließen und ein Influencerteam bilden.
Nutzer von Picue suchen sich die Gruppen heraus, die für sie besonders interessante Storys erzählen, und folgen ihnen. Dann werden sie immer über die neuesten Momente informiert und können diese „picken“, wenn sie ihnen gefallen. Vergleichbar ist das mit einem „Like“ bei Facebook. Nur Momente, die innerhalb von 48 Stunden oft genug gepickt wurden, bleiben Teil der Geschichte, das aber dann permanent. Eine Kommentarfunktion gibt es ebenfalls.
Hinter Picue steht ein starkes Team
Eineinhalb Jahre Entwicklungszeit stecken in der Software, und der Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen. Weitere Features werden folgen, so die Möglichkeit, die Videos mit Musik zu unterlegen, oder eine Art Regiefunktion, die es erlaubt die Inhalte noch besser zu strukturieren und zu steuern. Auch das Marketing läuft gerade erst an, wobei es sicherlich nicht schadet, dass der Gründer kein Unbekannter ist. Er steht aber natürlich nicht allein da, insgesamt bilden rund zehn Personen das Picue-Team; als zweiter Geschäftsführer ist Stephan Niggemeyer an Bord.
Im Mittelpunkt steht aber zweifellos Marcell Jansen, der Picue bei der gerade stattfindenden Social Media Week in Hamburg mehrfach vorgestellt hat. Dort beantwortete er auch zwei Fragen, die sich bei einem Startup immer stellen, erst recht, wenn es sich gegen schier übermächtige Konkurrenz in der Sparte Social Media durchsetzen will: Wie wollt ihr Geld verdienen? Und wie gegen Giganten derKategorie Facebook, WhatsApp und Instagram behaupten?
Erst wachsen, dann Geld verdienen
Noch verdient Picue keinen Cent. Monetarisierung steht zurzeit auch gar nicht das Hauptziel, zuerst gilt es, die App und ihre Funktionen bekannt und populär zu machen. Sind erstmal genug Nutzer dabei, lässt sich in den Storys gezielt Werbung platzieren, im kleinen wie im großen Stil. Für den Dorfverein ist der Bäcker um die Ecke der geeignete Werbepartner, für die Champions League-Mannschaft der Weltkonzern. Die Vermarktung liegt dabei ganz in den Händen der Gruppen, Picue würde nur einen kleinen Anteil bekommen. Auch könnten Unternehmen Gruppen bilden, um sich für Konsumenten oder als Arbeitgeber in Szene zu setzen. Wie sich das alles entwickelt, ist noch völlig offen.
Und die scheinbar übermächtige Konkurrenz aus den USA? Sieht Marcell eher als Chance für Picue bekannter zu werden. Einzelne Momente lassen sich problemlos auf Facebook & Co. teilen und machen so Werbung für das neue soziale Medium. Er setzt zudem auf Influencer, die die Vorteile von Picue erkennen, sich zusammentun und auf ihren bisherigen Plattformen auf das Gruppennetzwerk verweisen. Ein Selbstgänger wird das sicher nicht, aber der Optimismus des prominenten Gründers, eine erfolgversprechende Ergänzung zu den bestehenden Medien entwickelt zu haben, ist zumindest ansteckend.