OMR Festival 2019 – es geht immer noch mehr!
Mit 75.000 Besuchern ist Wacken das größte Festival im Norden. Noch, denn wenn das so weitergeht mit dem OMR Festival, ist bald dieses Marketing-Megaevent die Nummer eins. Rund 52.000 Teilnehmer vermelden die Veranstalter für 2019, schon wieder 12.000 mehr als im Vorjahr. Wir waren wie immer auch dabei in den Hamburger Messehallen und fassen einige der Höhepunkte zusammen.
Ein Programm mit Klasse für die Masse
Über Geld spricht man nicht und über Eintrittspreise viel zu selten. Beim OMR Festival ist das aber durchaus angebracht, denn bereits mit dem Expo-Ticket für 40 Euro bekommen die Besucher ein Programm zu sehen, das andere Events auch für viele Hundert Euro nicht bieten. Die beiden Hauptbühnen Big Picture Stage und Deep Dive Stage haben inzwischen eigene Hallen, hinzu kommen zwei weitere Hallen für die Expo mit mehr als 400 Ausstellern und gleich drei für die Masterclasses. Die Speaker in diesem vermeintlichen Rahmenprogramm sind ebenfalls beeindruckend: Auf der Liste finden sich illustre Namen wie Lena Gercke, Eko Fresh, Frank Thelen, Katarina Barley, Kevin Kühnert oder der sechzehnfache Dart-Weltmeister Phil Taylor.
Als Hauptereignis gilt aber nach wie vor die große Konferenz am zweiten Veranstaltungstag, weshalb wir unseren Nachbericht darauf konzentrieren. Denn Anfang machte wie gewohnt OMR-Mastermind Philipp Westermeyer mit seinem Beitrag zum „State of German Internet“. Allzu euphorisch stimmte der nicht, weshalb Philipp schnell zu einer Reihe Trends und Tipps für erfolgreiches Marketing überging, angelehnt an die sieben Todsünden, die er zu sieben Tugenden für Werber umdefinierte. So deutete er etwa Zorn als eine Art Provokation, die zwar viele vor den Kopf stoße, aber bei der gewünschten Zielgruppe positive Reaktionen hervorrufe. Als Beispiel nannte er eine Nike-Kampagne mit dem Footballspieler Colin Kaepernick, der unter anderem bei Trump in Ungnade gefallen war, weil er beim Abspielen der US-Hymne aus Protest gegen Rassismus gekniet hatte statt zu stehen.
Computer verstehen uns bald besser als wir selbst
Der mit der größten Spannung erwartete Redner war sicherlich der israelische Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari. Und er enttäuschte nicht. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die Formel b x c x d = ahh. Er multiplizierte biologisches Fachwissen mit modernster Computertechnologie und einer großen Datenmenge und erhielt als Ergebnis die Möglichkeit Menschen zu hacken. Seine These: Algorithmen werden den Menschen bald besser verstehen als er sich selbst. Harari nannte einen ganz persönlichen Anwendungsfall: Jahrelang war er sich seiner eigenen Homosexualität nicht bewusst, eine passende Software hätte ihm vielleicht viel früher die Augen öffnen können. Andererseits könnten auch totalitäre Regierungen wie die von Brunei, wo Homosexualität im Extremfall mit dem Tode bestraft wird, diese Technologie für ihre Zwecke missbrauchen.
Laut Harari stellt sich nicht die Frage, ob der Mensch mit Algorithmen tatsächlich gehackt werden wird, sondern nur, wie wir damit umgehen. So könnte das Verfahren vor falschen Entscheidungen bis hin zur Wahl des Ehepartners schützen und zu einer besseren Gesundheitsvorsorge beitragen. Kritiker sehen dagegen den freien Willen in Bedrängnis, und die Gefahr, Propaganda zu personalisieren und so die Gesellschaft zu spalten, ist auch nicht zu unterschätzen und teilweise schon Realität. Um sich gegen die rasanten Entwicklungen unserer Zeit abzuhärten und sich selbst noch besser kennenzulernen, meditiert Harari täglich zwei Stunden. Immerhin fünf Minuten Meditation ermöglichte Andy Puddicombe, Mitgründer des Gesundheits-Startups Headspace, dem Konferenzpublikum.
Hallenbeben zur Mittagspause
Überhaupt ging es wieder überwiegend harmonisch zu beim OMR Festival. Vertreter von wichtigen Partnern wie Google und Facebook stimmten zwar ein paar selbstkritische Töne an, zeichneten aber insgesamt natürlich positive Bilder ihrer Unternehmen. Die meisten Gäste, die Philipp Westermeyer auf der Bühne oder an der am Bühnenrand aufgebauten Bar begrüßte, schienen sowieso irgendwie seine Freunde zu sein. Schließlich ist das Spektakel ja auch eine große Party, weshalb der obligatorische musikalische Überraschungsgast in der Mittagspause nicht fehlen durfte. In diesem Jahr brachte Scooter die Halle zum Beben – eine Floskel, die bei dem basslastigen Bums der Techno-Veteranen um H.P. Baxxter tatsächlich einmal angebracht ist.
Für zumindest ein bisschen Widerbortstigkeit sorgte Fernsehkoch Tim Mälzer, der seinen Podcast „Fiete Gastro“ vorstellte. Podcasts waren überhaupt ein großes Thema, es war sogar vom zweiten goldenen Zeitalter für Audio nach dem Pionierjahren des Radios die Rede. Mälzer hingegen behauptete, wenn er auf einen Trend aufspringe, sei er wahrscheinlich schon tot. Er outete sich als digitaler Totaldilettant und frotzelte über Westermeyers gerade erschienenes Printmagazin „Philipp“. Ernster war da schon seine Reaktion auf den Vortrag von Bowen Chou aus China. Er verglich dessen Ausführungen und Zukunftsaussichten mit einem Verkehrsunfall; furchtbar, aber man könne trotzdem nicht wegsehen. Er wollte sich allerdings lieber auf Kartoffelpüree und Rotwein zurückziehen.
China setzt Maßstäbe bei der künstlichen Intelligenz
Bowen Chou ist Vice President bei der chinesischen Online-Handelsplattform JD.com und dort für künstliche Intelligenz (KI) zuständig. Mit seiner Einladung trägt das OMR Festival der immer stärker wachsenden Bedeutung der asiatischen Supermacht auch in der Digitalwelt Rechnung. Europa wurde von China längst überholt, was Chou dem Publikum deutlich vor Augen führte. JD.com setzt KI in den verschiedensten Bereichen ein, bei der Kundenansprache und -betreuung ebenso wie bei der Organisation der Lagerhallen. Inzwischen gibt es sogar den ersten Supermarkt, der mithilfe künstlicher Intelligenz sämtliche Produkte erkennt. Für den Warenerfassungs- und Bezahlvorgang muss nicht einmal mehr ein Barcode gescannt werden. JD.com definiert sich konsequenterweise als Technologieunternehmen mit Handel als Kernkompetenz.
Auch wenn das Kürzel OMR in der offiziellen Kommunikation kaum noch ausgeschrieben wird, verbirgt sich nach wie vor der „Rockstar“ darin. Der letzte Gast auf der Konferenzbühne ist daher meist eine internationale Größe der Musikszene. In diesem Jahr gab sich die englische Popsängerin Ellie Goulding die Ehre. Beinahe wäre sie Politikerin geworden. Immerhin hat sie einst angefangen Politikwissenschaften zu studieren, konzentrierte sich dann aber ganz auf ihre Karriere als Musikerin. In dieser Rolle nimmt sie auch Stellung zu aktuellen Themen wie dem Klimawandel, zum Brexit wollte sie sich aber auf dieser Bühne lieber nicht konkret äußern. Dafür konnten wir erfahren, dass ihr extravagantester Wunsch bezüglich der Anreise ein „priority seating“ im Flugzeug war. Sie sitzt nämlich nicht gern in der Mitte.
Das OMR Festival setzt jedes Jahr neue Superlative
Am Ende war dann wirklich nur noch Party, mit den inzwischen fast schon zum Inventar gehörenden Hamburger Goldkehlchen und den deutschen Vorzeigerappern Marteria und Casper. Das Fazit des OMR Festivals 2019 kann eigentlich nur so ähnlich ausfallen wie in den vergangenen Jahren. Es war mal wieder alles noch größer, noch voller, noch überfordernder und noch spektakulärer als zuvor. Man stellt sich erneut die Frage, wie das großartige OMR-Team so etwas noch toppen will, aber bisher hat das ja immer geklappt. Die definitive Antwort bekommen wir am 12. und 13. Mai 2020. Dann schaut die gesamte Marketingwelt wieder auf Hamburg.