NATIX macht Städte mit Videoanalysen smarter
Auf dem Weg zur Smart City wird die dezentrale Datenverarbeitung, auch unter dem Schlagwort „Edge Computing“ bekannt, eine wesentliche Rolle spielen. Davon ist zumindest das Hamburger Startup NATIX überzeugt und entwickelt die passende Software dazu. Mit ihr hat es sogar schon einen Investor aus dem Silicon Valley beeindrucken können.
Cloud Computing, also das Prinzip, eine IT-Infrastruktur nicht komplett innerhalb eines Unternehmens zu belassen, sondern zumindest teilweise an externe Dienstleister zu delegieren, hat sich flächendeckend durchgesetzt. Praktisch alle Internetgiganten, wie Amazon, Microsoft oder Google, bieten solche Services an. Sie ersparen dadurch ihren Kunden etwa die Anschaffung von Geld und Platz verschlingenden Servern oder komplexer Software. Trotzdem ist Cloud Computing nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss und in einigen Fällen zu teuer und nicht schnell und sicher genug.
In der Welt des Edge Computings gibt es keine zentrale Recheneinheit mehr
Auf der Suche nach einer Alternative dachte der Computerwissenschaftler Omid Mogharian daran, die ungenutzten Speicher- und Rechenkapazitäten von allerlei Geräten einzubeziehen. In erster Linie wären das natürlich Laptops, Tablets und Smartphones, aber auch beispielsweise smarte Maschinen in der Produktion, die mit Recheneinheiten bestückt und so Teil des Internet of Things sind. Und schon befinden wir uns in der Welt des Edge Computings. In ihr gibt es kein Rechenzentrum mehr. Stattdessen werden Anwendungen auf einzelne Geräte und so quasi an die Ränder eines Netzwerks verlagert.
Mit seiner Idee stand Omid nicht allein da. Ähnlich dachte der Wirtschaftsingenieur Lorenz Muck, mit dem er bereits bei dem Startup Videobeat zusammengearbeitet hatte. Dritter im Bunde wurde Alireza Ghods. Er ist ebenfalls ein Computerspezialist, der sich Doktor der Philosophie nennen darf (Thema der Dissertation: drahtlose Lokalisierungssysteme). Bis Ende 2019 waren Alireza und Omid Kollegen bei der Beratungsgesellschaft PwC. Seit Januar kümmern sie sich in Vollzeit um ihr eigenes Unternehmen NATIX, genau wie Lorenz, der zuletzt für das Startup aiconix gearbeitet hat.
Ein Investor aus dem Silicon Valley brachte die Wende bei NATIX
Schon sehr viel länger, nämlich seit Herbst 2018 tüfteln die drei Gründer an ihrem Konzept zur dezentralen Datenverarbeitung. Dabei dachten sie lange vor allem an eine Anwendung in der Industrie. Die Begegnung mit einem Investor aus dem Silicon Valley lenkte sie allerdings in eine neue Richtung. Schauplatz dieses Treffens war im September 2019 ein Event der Startup Autobahn in Stuttgart. Veranstalter war der amerikanische Accelerator Plug & Play, und der besagte Investor gehört zu dessen wichtigsten Partnern.
Er war sofort begeistert von dem NATIX-Team und dessen Ideen, schlug aber vor, den Fokus auf ein anderes Thema zu setzen: Smart City. Er überzeugte dabei nicht nur mit fundiertem Fachwissen, sondern mit dem Versprechen einer Finanzierung, sollte NATIX überzeugende Anwendungsmöglichkeiten vorweisen können. Davon gibt es in der Tat eine ganze Reihe, allein schon bei der Auswertung von Bilddaten, auf die sich das Startup inzwischen spezialisiert hat. Diese Daten erhält es von von den zahlreichen Überwachungskameras, die überall in den Städten angebracht sind.
Ale diese Kameras enthalten mittlerweile Computereinheiten und können autonom Daten auswerten oder sich mit anderen vernetzen. Hilfreich sind sie zum Beispiel bei der Feststellung von erhöhtem Verkehrsaufkommen, auf der Suche nach freien Parkplätzen oder der Überprüfung der Auslastung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie ermöglichen also eine bessere Planung der Mobilität in modernen Städten, in Smart Citys. Und sie schlagen Alarm in akuten Notsituationen. Allerdngs ist vielen bei dem Gedanken an „allwissende“ Kameras nicht ganz geheuer. Zu Recht, wenn man an Überwachungspraktiken wie in China denkt.
Datenschutz ist ein entscheidendes Kriterium
NATIX sieht dagegen bestmögliche Datensicherheit und Anonymisierung als ein entscheidendes Kriterium für Smart City und hat sein Angebot drauf ausgerichtet. So fehlt wie gesagt die zentrale Einheit, die alle Informationen sammeln und auswerten könnte. Zudem lassen sich unter anderem automatisch Nummernschilder unscharf abbilden oder ganz rausschneiden. Noch einen Schritt weiter geht die Maßnahme, Fahrzeuge in bunte Klötzchen zu verwandeln. Dadurch lässt sich noch nicht einmal die Automarke feststellen. Ähnliche Verfahren stehen zur Unkenntlichmachung von Personen bereit. Die spielt auch eine große Rolle bei der Überwachung von Unternehmensgeländen aus Gründen der Betriebssicherheit. Hier erkennt die Videoanalyse beispielsweise die Entwicklung von Rauch und Feuer oder die Anzahl der Personen in der Nähe von Gefahrenstellen.
Die wichtigsten potenziellen Kunden von NATIX sind aber naturgemäß Städte, die sich gerne das Attribut „smart“ anheften möchten. Zu einigen von ihnen besteht bereits Kontakt, um gemeinsam erste konkrete Anwendungen für die von dem Gründertrio entwickelte Software zu finden. Mit Städten wie Berlin, Stuttgart, Klagenfurt und Den Haag laufen Gespräche. Dort gibt es auch für den Bereich Smart City zuständige Ansprechpartner. Ausgerechnet in Hamburg konnte NATIX diese eine Person noch nicht ausfindig machen. Dafür stehen sie bereits im Kontakt mit dem ITS-Weltkongress – ein Großereignis zum Thema Mobilität im Oktober 2021, das vom Know-how des ortseigenen Startups profitieren könnte. Die Hoffnung besteht also, dass Hamburg noch die Kurve kriegt und mit NATIX zusammen ein wegweisendes Pilotprojekt auf die Beine stellt.