Indigo gibt den Beat vor beim Music WorX Day
Auf St. Pauli liegt bekanntlich immer Musik in der Luft, doch am 30. November war sie besonders vielstimmig, denn da war Music WorX Day im Nochtspeicher. Sechs Musik-Startups stellten sich vor, und gewonnen hat mit Indigo Beat Machine eine App, die neue Formen des gemeinschaftlichen Musizierens ermöglicht.
Für drei Hamburger Startups endete an diesem Abend das dreimonatiges Accelerator-Programm Music WorX mit Finanzierungen, Workshops und jeder Menge Networking. Initiiert wurde das alles von der Hamburger Kulturbehörde und der Hamburg Kreativ Gesellschaft. Fiona Dahncke, verantwortlich für die gesamte Organisation des Accelerator-Programms, fasst die drei Monate zusammen:
„Von Beginn des Accelerators bis zum abschließenden Pitch beim Music WorX Day konnten wir eine enorme Entwicklung aller drei Accelerator-Teams beobachten. Alle drei Unternehmungen konnten sich während des zwölfwöchigen Coaching- und Qualifizierungsprogramms noch einmal wesentlich professionalisieren.“
Höhepunkt war dann der finale Pitch um 5.000 Euro, zu dem drei weitere Gründerteams eingeladen waren. Bevor es dazu kam, erinnerte Steffen Holly vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie daran, dass Disruptionen – ein wesentliches Merkmal der modernen Startup-Kultur – die Musikwelt schon immer durcheinander gewirbelt haben.
Ein frühes Beispiel liefert William F. Ludwig, der Erfinder des Schlagzeugs, das den einfachen Trommler arbeitslos machte, dafür aber einen völlig neuen Musikertyp hervorbrachte. In jüngster Zeit haben vor allem Fortschritte in der Computertechnologie die Musikindustrie erschüttert, etwa durch die Möglichkeit, Songs am Laptop in der eigenen Wohnung produzieren zu können und dafür nicht in ein teures Studio gehen zu müssen. Oder durch die Entwicklung des mp3-Formats, das den Vertrieb von Musikaufnahmen revolutioniert hat.
Theoretisch bietet also die Musikwelt beste Voraussetzungen für innovative Startups. Ob sich das auch in der Praxis durchsetzen lässt, sollten jetzt die sechs Kandidaten mit ihren Pitches beweisen. Als erste rief Moderatorin Kathrin Kaufmann von den Digital Media Women Conduct-it aus Schwarzach am Main auf die Bühne. Der Diplom-Psychologe Wolfgang Schömig und der Chorleiter Mario Pfister bieten ganz besondere Workshops für Führungskräfte an. Die können sich für einen Tag daran versuchen einen Profichor zu dirigieren, und lernen dabei eine Menge über sich und ihren Führungsstil. Eine originelle, charmante und durchaus Erfolg versprechende Idee, meinte die Jury später, allerdings auch eine, die mit der Musikindustrie nicht viel zu tun habe.
Näher dran sind da schon die Hamburger von Soundnotation. Irene Erhard und Martin Beinicke sind Musikwissenschaftler und haben lange in Musikverlagen gearbeitet. Aus Erfahrung wissen sie, dass zu vielen Songs die Noten fehlen, die gebraucht werden, um gerade junge Leute für das Spielen von Instrumenten zu begeistern. Bei Soundnotation wird man mp3-Dateien hochladen können und erhält nach spätestens 48 Stunden die kompletten Noten, die teils automatisch, teils von Experten aus einem breit aufgestellten Netzwerk erstellt werden. Dabei sollen im ersten Schritt Musikverlage angesprochen werden, nicht interessierte Hobbymusiker. Der Markt ist sicherlich da, aber ist er auch groß genug?
Micropayment für Musik und ein heiteres Requiem
Mit Musik Geld verdienen wird im Internetzeitalter immer schwieriger, besonders für Künstler, die nicht die Unterstützung der großen Plattenlabels bekommen. adore aus Düsseldorf will ihnen unter die Arme greifen und hat dafür ein Micropayment-System für Musikdateien entwickelt, ein virtuelles Pendant zum Hut, den Straßenmusiker gern rumgehen lassen. Das ganze ist als zusätzliche Einnahmequelle gedacht, die sich Musiker aller Art erschließen können; theoretisch könnte sich auch Madonna bei adore anmelden, allerdings erst in einigen Monaten; bisher ist das alles noch Zukunftsmusik.
Zeit für den amüsantesten Pitch des Abends. Erfahrungsgemäß eignet sich kaum ein Thema so gut für ein paar Lacher wie der Tod. Da bekommt zum Beispiel der Satz „Wir müssen auf eine Deadline hinarbeiten“ eine schön doppelbödige Bedeutung. Your Requiem aus Buxtehude komponiert Musikwerke für Menschen, die nach ihrem Ableben nicht in Vergessenheit geraten wollen. Das ist nicht ganz billig und wohl nur für eine exzentrische Minderheit interessant, weshalb Alexander Paprotny (Komponist, Diplom-Ingenieur) und Nicole Zufelde (Sängerin, Musikmanagerin) für die ersten frei Jahre auch mit kaum mehr als zehn Kunden kalkulieren. Die immer wieder eingeforderte Skalierbarkeit ist so nicht zu erreichen, aber vielleicht lässt sich ja das Geschäftsmodell auf Hochzeiten und andere einschneidende Ereignisse zu Lebzeiten ausweiten.
Das Smartphone als Beatbox und Konzerte als Gemeinschaftserlebnis
Einen ganz großen Markt hingegen könnte die Hamburger Indigo Beat Machine erobern, die anschließend Johann Vollmer vorstellt. Sampling ist als Technik, um neue Sounds und Beats zu kreieren, nicht ganz neu, bisher aber an große, unhandliche Geräte gebunden. Indigo Engineering hat eine App entwickelt, mit der sich Rhythmuselemente per Android-Smartphone erstellen lassen. Diese können dann modifiziert und mit anderen Musikfans geteilt werden. Gerade dieser Communitygedanke ist den Machern wichtig. So können Musikstücke entstehen, bei den der Gesang aus Hongkong, der Beat aus San Francisco und die Pianomelodie aus Hamburg stammen – letztere vielleicht eingespielt von dem Elefanten Peter, der in einem Videoclip zeigte, dass heutzutage wirklich jeder irgendwie Musik machen kann.
Die Geschichte der Crowdmates begann im April beim Startup Weekend Women. Dort entstand die Idee, einen Treffpunkt für Leute zu schaffen, die gern Konzerte besuchen möchten, es aber doch nicht tun, weil sie keine passenden Begleiter kennen. Über Crowdmates können sich Fans verabreden und gleichzeitig Tickets erwerben, was die Verabredung verbindlicher macht. Nein, ein Tinder für Musikliebhaber sei das nicht, beteuert Mitgründer Markus Bergmann, obwohl anschließende Verbandelungen jeglicher Art natürlich nicht verboten seien. Sein engagierter Pitch, in den er auch seine eigene Geschichte als Konzertgänger einflechten konnte, stieß auf viel Zustimmung im Publikum, aber ließ auch die Frage aufkommen, ob sich Crowdmates gegen so aggressive Marktdominatoren wie eventim durchsetzen könne.
Eine Frage, die sich so oder ähnlich wie ein roter Faden durch den ganzen Abend zog, wie die Jury in ihrem Resumee erklärte. Die Entscheidung fiel letztlich zugunsten von Indigo Engineering aus, weil hier vermutlich das größte Potenzial drinsteckt. Auch das Publikum hatte sich schon für die App entschieden, sodass die Beat-Bastler nicht nur das Preisgeld von 5.000 Euro einsacken konnten, sondern auch noch einen Artikel und eine Anzeige im Magazin musikmarkt bekommen. Johann Vollmer freut sich entsprechend:
„Die Bestätigung durch diesen gelungenen Abend ist wirklich super. Es hat mir persönlich viel Spaß gemacht, unsere Indigo Beat Machine vor der Jury und dem Publikum zu präsentieren, auch wenn der Blutdruck vor dem Bühnengang merklich angestiegen war. Ich wünsche mir für die Zukunft mehr solche Spektakel in der regionalen Startup- und Projektförderung. Vielen Dank an dieser Stelle an die Organisatoren des Music Worx Programms! Ich freue mich, dass wir überzeugt haben und, dass wir Gold nach Hause geholt haben! Die Preisvergabe zeigt aber nicht nur dass wir „cool“ sind, sondern auch die Wertschätzung und den Glauben an ein freies Internet. Die Idee der Vernetzung von Menschen durch das Teilen und Weiterbearbeiten von Musik unter dem Schutz der Creative Commons, hat letztlich den Preis gewonnen. Wir haben den Preis bekommen um die ersten technischen Möglichkeiten hierfür auf das Smartphone zu liefern. Unser Team, was seit neuestem neben Chris (Toningenieur und Sound-Coach) und mir (Android-Entwickler und CEO) noch durch Freddy (Toningenieur und UX-Designer) ergänzt wird, freut sich auf die bevorstehenden Aufgaben. Sowie auf Angebote, Anfragen und neue Mitarbeiter! Ich danke allen Unterstützern von Indigo.“
Ob die Helden des Abends so durchstarten können wie die Vorjahressieger SofaConcerts, wird sich zeigen. Kulturstaatsrat Dr. Horst-Michael Pelikahn, der die Veranstaltung eröffnet hatte, gibt sich jedenfalls optimistisch :
„Der Music WorX Day 2015 hat erneut gezeigt, dass wir mit dem Ansatz richtig liegen, Ertragsmodelle in der Musikwirtschaft zu unterstützen, die die Digitalisierung und technische Neuerungen nutzen und weiterentwickeln. Es ist beeindruckend, wie viele kreative Menschen es gibt, die sich in der Musikwirtschaft mit innovativen Ideen neue Geschäftsmodelle erschließen. Hamburg ist ein herausragender Standort für die Musikwirtschaft in Deutschland und ein gutes Pflaster, um innovative Ansätze umzusetzen. Herzlichen Glückwunsch an die Gewinner des Music WorX Days 2015.“
Alle Fotos: Selim Sudheimer
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