Frank Thelen stellt seinen Baukasten für die Zukunft vor
Der Unternehmer und Investor Frank Thelen hat ein Buch geschrieben, und erwartungsgemäß haben sich die Medien vor allem auf seine Aussagen zu „Die Höhle der Löwen“ gestürzt. Was er vom Ex-Löwen Jochen Schweizer hält, dürfte jetzt allgemein bekannt sein, weshalb wir uns auf seine Thesen zu den Herausforderungen der nächsten zehn Jahre konzentrieren wollen. Einiges davon könnte gerade für Startups sehr interessant werden.
„Wenn er nicht gegangen wäre, wäre ich wahrscheinlich gegangen, da es mir einfach zu anstrengend mit ihm war.“ Das ist einer der Sätze über Jochen Schweizer, die in den vergangenen Tagen die Runde machten. Als Frank Thelen letzten Donnerstag sein Buch „Startup-DNA“ in Hamburg vorstellte, war „Die Höhle der Löwen“ allerdings kaum ein Thema. Auch seine Biografie, die den größeren Teil des Buches einnimmt, spielte nur eine Nebenrolle. „Ich weiß, dass ich kein einfacher Mensch bin“, gestand er ein, um sich dann dem Thema zu widmen, welches ihm das wichtigste ist: die Zukunft.
Die nächsten zehn Jahre werden die größten Herausforderungen für die Menschheit bringen, ist sich Frank Thelen sicher. Er hat gleich 17 Technologiebereiche ausgemacht, die unser Leben entscheidend verändern werden. Ob zum Guten oder Schlechten liegt in unser aller Hände. Gerade Gründerinnen und Gründer haben hier die Chance, die Entwicklung in eine positive Richtung zu lenken. Thelens Lieblingsbeispiel ist das Münchener Startup Lilium, das ein Flugtaxi entwickelt hat. Als einer der Investoren lässt er kaum eine Gelegenheit aus, diese Erfindung und seine Erfinder in seinem Buch zu loben.
Thelens Lieblingsstartup Lilium wäre ohne Cloud Computing nicht möglich
Entsprechend wenig Verständnis hat er für die Häme, die Digital-Staatsministerin Dorothee Bär entgegenschlug, als sie über Flugtaxis sprach. „Ich bin echt sauer“, war sein Kommentar. Man darf gespannt sein, ob Lilium tatsächlich für die Zukunft der Mobilität steht. Die Entwicklung eines Fluggeräts durch ein Startup wäre jedenfalls nicht möglich gewesen ohne die praktisch unbegrenzte Rechenkapazität, die heutzutage jedermann durch die Cloud zur Verfügung steht.
Cloud Computing steht daher in Thelens Baukasten für die Zukunft ganz oben auf der Liste. Die enthält natürlich auch Begriffe wie das Internet of Things und dort eingesetzte Sensoren, Virtual Reality, Augmented Reality, 3D-Druck oder Sprachsteuerung. Alles Technologien, die bereits im Einsatz sind, aber oft noch am Anfang stehen. Das gilt auch für die künstliche Intelligenz (KI). Vieles sei da noch Blödsinn, meint er, aber die KI werde sich radikal entwickeln und genau wie die unter den Stichwort Big Data zusammengefasste Erfassung und Auswertung riesiger Datenmengen ethische Fragen aufwerfen.
Die stellen sich auch im Zusammenhang mit Robotern, wie sie beispielsweise das amerikanische Unternehmen Boston Dynamics baut. Deren Laufroboter (siehe Video oben) können bei Katastropheneinsätzen, aber auch für militärische Zwecke eingesetzt werden. Eine Gefahr, die nicht nur Elon Musk sieht, den Frank Thelen übrigens für den intelligentesten Menschen der Welt hält. Werden Maschinen einst die Herrschaft über die Welt übernehmen? Zu dieser Frage gleich mehr.
Die Blockchain ist schon da, der Quantencomputer kommt
Noch bleiben wir in der Gegenwart und den schon vorhandenen Teilen des Baukastens der Zukunft. Der Blockchain und den damit in Verbindung stehenden Kryptowährungen widmet Thelen, wie der KI, ein ganzes Kapitel. Wobei er den Begriff „Distributed Ledger“ bevorzugt, was sich etwa mit „verteiltes Kontenbuch“ übersetzen lässt. Das deutet schon darauf hin, dass die Zukunft der Blockchain-Technologie nicht unbedingt bei Bitcoin und Co liegt. Entscheidungen, die bisher von einer einzelnen Person und entsprechend willkürlich getroffen werden können, fallen in die Hände von vielen, die sich gegenseitig kontrollieren, was die Gefahr von Betrug und Missbrauch minimiert. Bleibt noch zu erwähnen, das Thelen über seine Investmentfirma Freigeist an dem Blockchain-Startup Neufund beteiligt ist, das neue Wege bei der Startup-Finanzierung gehen will.
Damit kommen wir zum Ausblick auf die Technologien der Zukunft: Während der Mobilfunkstandard 5G mit erheblich beschleunigter Datenübertragungsgeschwindigkeit vor der Einführung steht und bei der Gentechnik schon vieles möglich ist, steht der Quantencomputer noch in der Entwicklungsphase. Herkömmliche Computer arbeiten nach wie vor mit auf Nullen und Einsen basierenden Bits und stoßen dort irgendwann an Grenzen. Bei Quantencomputern kommen sogenannte Qubits zum Einsatz. Die ermöglichen, basierend auf der Quantenphysik, in Kombination eine Vielzahl von Zuständen und damit ungeahnte Rechenkapazitäten.
Macht die Technologie den Menschen überflüssig – und welche Antworten hat die Politik?
Werden diese technischen Entwicklungen irgendwann zu einer Superintelligenz führen, die dem Menschen überlegen ist? Dieser als technologische Singularität bezeichnete Punkt wird kommen, da stimmt Frank Thelen mit vielen anderen Experten überein. In vielleicht 30 Jahren wird eine künstliche Intelligenz soweit sein, sich selbst kontinuierlich so zu verbessern, dass sie vom Menschen praktisch nicht mehr zu kontrollieren ist. Ob das das Ende oder die Rettung der Menschheit bedeutet, bleibt vorerst der Fantasie von Science-Fiction-Autoren überlassen.
Eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft sollte natürlich die Politik spielen, und da sieht Thelen in Deutschland großen Nachholbedarf. Deutschland hat in den entscheidenden Bereichen keinen Weltmarktführer hervorgebracht und gerät vor allen gegenüber den USA und China immer mehr ins Hintertreffen. In der Politik werde noch zu viel nach Dringlichkeit entschieden und nicht genug nach Wichtigkeit, meint er. So hält er ein bedingungsloses Grundeinkommen für notwendig und auch finanzierbar.
Auf jeden Fall will Frank Thelen bei der Gestaltung der Zukunft mitmischen und nach eigener Aussage dabei „das ganz große Rad drehen“. Sein Buch soll einen Teil dazu beitragen und startet mit einer Auflage nahe an 100.000 Exemplaren, was für den Hamburger Fachbuchverlag Murmann Publishers Rekord sein dürfte. Lohnt es sich nun „Startup-DNA“ zu lesen? Große Literatur ist da natürlich nicht zu erwarten, aber Fans von Frank bekommen einen guten Überblick über seine Karriere, wobei er auch Fehler und Pleiten nicht verschweigt. Für Einsteiger bieten sicher auch die Kapitel über die neuen Technologien hilfreiche und weitgehend verständliche Informationen. Kein zukünftiger Klassiker also, aber für Startup-Interessierte durchaus zu empfehlen.