Der Digital Kindergarten macht das Millerntor zur Spielwiese für Innovationen
Der Digital Kindergarten ist der neue Shootingstar unter den Hamburger Digitalveranstaltungen – von einer erweiterten Büroparty zu einem Stadionevent innerhalb von nur zwei Jahren. Sportlich ging es zu, virtuell und manchmal auch etwas verspielt. Das haben wir uns natürlich nicht entgehen lassen!
Dunkle Wolken ziehen auf, als Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, seinen Vortrag über Digitalpolitik beginnt. Mehrfach kündigt Donner ein heftiges Gewitter an, am Ende bleibt es aber bei einem harmlosen Schauer. Glück gehabt für den in letzter Zeit eh schon leidgeprüften Politiker und die Zuschauer auf den Rängen. Wir befinden uns im Millerntor-Stadion, wo sonst der FC St. Pauli seine Heimspiele austrägt und an diesem Tag der Digital Kindergarten seine Tore geöffnet hat.
Die erste Ausgabe dieser Veranstaltung fand vor zwei Jahren noch in den Räumen der Agentur achtung! statt, vergangenes Jahr war der Hühnerposten der Schauplatz, jetzt also das Fußballstadion. Eine rasante Entwicklung und ein Indiz dafür, dass in Hamburg immer noch Platz ist für neue Großveranstaltungen, die sich auf die eine oder andere Weise mit der Digitalisierung beschäftigen. Der Digital Kindergarten zählte 2019 60 Aussteller, 50 Speaker und 10 Workshops und sprach dabei in erster Linie die Werbebranche an, bot aber auch darüber hinaus ein vielfältiges Programm.
Programm parallel auf zwei Bühnen
Zurück zu Lars Klingbeil: Der hatte seinen Auftritt auf FC. St. Pauli Stage, während auf der benachbarten Kindergarten Stage Verena Pausder über digitale Bildung von Kindern sprach. Auf dem Rasen des Stadions waren nämlich nebeneinander zwei Bühnen aufgebaut, auf denen zeitgleich Programm stattfand. Die Zuschauer auf der Hauptribüne konnten sich nun entscheiden, wem sie zuhören wollten, und auch zwischendurch wechseln, ohne ihren Platz verlassen zu müssen. Möglich machte das ein Leihkopfhörer, der auf zwei Kanälen die Vorträge übertrug. Eine clevere Idee, die das bei Konferenzen sonst übliche und lästige Hin und Her von einem Saal zum anderen überflüssig machte.
Das heißt, ganz überflüssig auch wieder nicht, denn es gab noch eine dritte Bühne, die Business Punk Stage. Diese und die angrenzende Ausstellungsfläche bei der Südtribüne zu finden, war allerdings kein Kinderspiel. Die Wege im Millertor-Stadion sind verschlungen und eine missverständliche Ausschilderung ließ einige Gäste zunächst in die falsche Richtung laufen. Verloren gegangen ist am Ende glücklicherweise aber niemand. Verlieren konnte man sich auch in den virtuellen Welten, die viele der Aussteller präsentierten. Virtual und Augmented Reality waren die beliebtesten Themen, wer sich dafür interessierte, bekam ein breites Angebot, von Großkonzernen ebenso wie von kleinen Startups.
Ein dominierendes Thema beim Digital Kindergarten: Virtual Reality
So stellte thyssenkrupp HoloLinc vor, nach Unternehmensangaben eine Industrie-4.0-Lösung für Aufmaß, Konfiguration, Visualisierung und Bestellung von Treppenliften. Die Hamburger Agentur VRtualX hatte eine VR-Brille dabei, die dem optischen ein Geruchserlebnis hinzufügte. Mit ihr konnte man zum Beispiel an einer virtuellen Blume schnuppern, je näher man ihr kam, desto intensiver wurde der Geruch. Besonders begehrt war ein Platz am VR-Kickertisch, wo sich ein leicht skurriles Bild bot: Vier Menschen beim nicht zuletzt in der Startup-Szene beliebten Büro- und Kneipenspiel, mit der Besonderheit, dass alle eine VR-Brille trugen.
Nico Rosberg und seine drei Karriereziele
Womit wir irgendwie den Bogen zum Sport geschlagen haben. Bei all den Vorträgen und Workshops ist es unmöglich, einen auch ansatzweise erschöpfenden Überblick zu geben. Viele Beiträge beschäftigten sich mit Marketing und verwandten Themen, aber auch die Rettung der Meere und die Frage nach der Ernährung der Zukunft standen unter anderem auf der Tagesordnung. Konzentrieren wollen wir uns hier auf die prominentesten Speaker. Beide stammen aus der Sportwelt und beide haben relativ früh ihre erste Karriere beendet, um sich der Startup-Szene zu widmen.
Nico Rosberg trat auf dem Höhepunkt ab, nämlich nach seinem ersten WM-Titel in der Formel 1. Jetzt betätigt er sich als Investor und benannte beim Digital Kindergarten seine Präsenz in den sozialen Medien als Basis für seinen Erfolg. Dabei konzentriert er sich auf YouTube und seinen Podcast. Drei große Ziele hat sich Nico gesetzt, eines davon hat er schon erreicht. Sein Greetech Festival im Mai in Berlin bot eine hohe Promidichte, viele innovative Ideen für eine umweltfreundlichere Zukunft und hatte 30.000 Besucher. Geplant sind noch ein Buch mit Erfolgsrezepten des Weltmeisters und ein nachhaltiges Produkt, mit dessen Verkauf wohltätige Projekte gefördert werden. Wahrscheinlich wird es sich dabei um Bekleidung handeln.
Marcell Jansen: optimistisch für neues Restaurant und den HSV
Auch Marcell Jansen wechselte relativ früh, nämlich mit 29, die Seiten, und wurde vom Fußballprofi zum Unternehmer. Ganz hat er sich von seinem Sport allerdings nicht verabschiedet, als HSV-Präsident unterstützt er weiterhin den Verein, für den er viele Jahre gespielt hat und in der Amateurmannschaft gelegentlich noch spielt. Beim HSV läuft bekanntlich längst nicht alles rund und das gilt auch für Marcells Startup-Aktivitäten. In die Video-App Picue habe er viel Geld investiert und sei dabei auf die Nase gefallen, gab er offen zu. Erfolgreich ist er dagegen mit seinen Sanitätshäusern. Gerade eröffnet hat das Restaurant Kinneloa in der Europa Passage, das er zusammen mit Steffen Hensler betreibt. Mit gesunder kalifornischer Küche wollen sie den Erfolg nachholen, den ein ähnliches Gastrokonzept am Kölner Flughafen noch nicht gebracht hat. Marcell Jansen ist da auf jeden Fall optimistisch.
Das können auch die Macher des Digital Kindergartens sein, was ihr Event angeht. Klar, ganz ohne Kinderkrankheiten ging es nicht über die Bühne. Die schon erwähnte Unübersichtlichkeit gehörte dazu, es fehlte vor Ort eine Gesamtübersicht über das Tagesprogramm auf den Bühnen und das Bezahlsystem für Speisen und Getränke per Chip empfanden auch nicht alle Teilnehmer als ideal. Das lässt sich aber sicher noch optimieren. Insgesamt überwiegen jedenfalls die positiven Eindrücke bei Weitem. Besonders hervorzuheben sind das Konzept mit den beiden benachbarten Bühnen und die vielen Möglichkeiten, neue Technologien auszuprobieren. Wir kommen auf jeden Fall nächstes Jahr gerne wieder zum Spielen vorbei!