Der Deutsche Startup Monitor unter der Hamburg-Lupe
Hamburg verliert in der bundesweiten Startup-Szene an Boden – das zumindest meinten einige Kommentatoren aus den Ergebnissen herauslesen zu können, die vergangene Woche der Deutsche Startup Monitor 2016 veröffentlicht hat. Das steht allerdings in der Studie, die viele aufschlussreiche Informationen enthält, aber auch ihre Schwächen hat, so garantiert nicht drin. Wir haben uns die Zahlen genauer angeschaut, um ein schief geratenes Bild zurechtzurücken.
„Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe“, gilt als eines der berühmtesten Zitate von Winston Churchill. Bezeichnenderweise gibt es keinen Beleg dafür, dass der britische Premierminister das jemals gesagt hat. Dieser Ausspruch scheint also in eine Reihe zu gehören mit „Harry, hol schon mal den Wagen!“ und „Beam me up, Scotty!“.
Wenn es um den Deutschen Startup Monitor (DSM) geht, ist der Vorwurf der Fälschung sowieso fehl am Platze. Niemand unterstellt dem Initiator, dem Bundesverband Deutsche Startups e.V., irgendwelche Zahlen manipuliert oder nicht korrekt dargestellt zu haben. Wie die Ergebnisse in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, ist allerdings eine andere Frage. Dazu zwei Zitate aus einem Artikel der WELT:
„Die Hansestadt fällt laut einer Studie in der Gunst junger Gründerszene. Die FDP sieht den Wirtschaftssenator in der Pflicht.“ und „Der „Deutsche Startup Monitor 2016“, so der Name der aktuellen Studie, weist für die Hansestadt allerdings einen Negativtrend aus: Der Anteil an der bundesweiten Verteilung nahm von 8,3 Prozent im vergangenen Jahr auf 6,4 Prozent ab.“
Im weiteren Verlauf des Berichts werden diese Aussagen zwar relativiert und korrigiert, es ist aber zu befürchten, dass sie trotzdem im Gedächtnis haften bleiben. Schauen wir uns deshalb die nüchternen Zahlen an. 2015 flossen Daten von insgesamt 1.061 Startups in die Auswertung für den Deutschen Startup Monitor ein. 88 davon stammten aus Hamburg. 2016 gab es 1.224 ausgewertete Teilnehmer, davon 78 aus der Hansestadt. Der Anteil Hamburger Startups ist also tatsächlich von 8,3 % auf 6,4 % gefallen.
Eines ist der Deutsche Startup Monitor eindeutig nicht: repräsentativ
Allerdings nur, was die Teilnehmerzahl im Vergleich dieser beiden Studien angeht. Das ist der entscheidende Punkt. Die Teilnahme an der Erhebung ist freiwillig, weshalb die Ergebnisse nicht vollständig repräsentativ sein können, wie es auch in den Anmerkungen zum Forschungsdesign heißt:
Der DSM 2016 umfasst keine Vollerhebung aller Startups in Deutschland, kann angesichts der unbekannten Grundgesamtheit in Deutschland keine Repräsentativität für sich beanspruchen und dient dementsprechend vor allem dazu, einen ersten Eindruck über die Startup-Szene in Deutschland zu vermitteln.
Damit ist eigentlich schon das Wesentliche gesagt. Alle Resultate des DSM beziehen sich ausschließlich auf seine Teilnehmer und können die Realität aller Startups abbilden, müssen das aber nicht zwangsläufig. Das gilt besonders für die geografische Verteilung. Anders wäre es auch gar nicht zu erklären, dass der Anteil der nach wie vor wachsenden Startup-Metropole Berlin am DSM-Kuchen von 31,1 auf 17 % gesunken ist.
Woran das liegen mag? Vielleicht haben die Gründerinnen und Gründer in Berlin, Hamburg oder München (Rückgang von 11,5 auf 7 %) einfach weniger Zeit und Lust gehabt zu antworten. Ganz sicher aber wurde der Kreis der potenziellen Teilnehmer erweitert. Startups werden für den DSM von sogenannten Multiplikatoren aktiv angesprochen, und die waren in diesem Jahr explizit auch auf der Suche nach jungen Unternehmen aus der Region Hannover/Oldenburg. Prompt erreicht diese 6,9 %, was viele Kommentatoren dazu verführte, einen Startup-Boom in der Provinz zu vermelden.
Der Hamburg Startups Monitor zeichnet ein präziseres Bild als der DSM
Dabei gibt es eine viel präzisere Quelle über die Hamburger Szene als den DSM: den Monitor von Hamburg Startups. Klar, auch der ist nicht perfekt, da die Teilnahme hier ebenfalls freiwillig ist. Und wir können auch nicht garantieren, dass alle Angaben, die die Startups selbst einpflegen, immer auf dem neuesten Stand sind. Die Entwicklung ist allerdings eindeutig. Hatten sich bis Februar 2016 bereits 454 Startups in den Monitor eingestragen, sind es im Oktober sogar schon 582. Tendenz ständig steigend. Ein Negativtrend sieht anders aus.
Schauen wir uns einige weitere zitierte Ergebnisse des DSM an, hier herausgefiltert von t3n: „…während es in Hamburg einen Einbruch von vormals 19,7 Mitarbeitern auf nunmehr nur noch 5,5 Mitarbeiter gab.“ Das klingt übel, nach Arbeitsplatzabbau und allgemeiner Krise. Tatsächlich stehen diese Zahlen so in den jeweiligen Auswertungen. Wie es dazu kommen konnte? Möglicherweise haben 2015 mehr mitarbeiterstarke Unternehmen aus der Fintech- oder Gamebranche mitgebracht, dieses Jahr dagegen eher Startups, die gerade erst gegründet wurden. Das ist reine Spekulation. Aus den Daten unseres Monitors jedenfalls ergibt sich eine durchschnittliche Mitarbeiterzahl von knapp 9,4.
Vielleicht haben dieses Jahr auch besonders viele Hamburger Frauen am DSM teilgenommen, die noch am Anfang ihrer Unternehmerinnenkarriere stehen. Ein weiteres Resultat, ebenfalls von t3n aufgegriffen, lässt das vermuten: „Den mit Abstand höchsten Anteil an weiblichen Gründern nach Region gibt es in Hamburg mit 23,3 Prozent.“ Bundesweit liegt der Wert nur bei 13,9 %. Das deckt sich ziemlich mit dem Monitorwert von 14,3 % und legt den Schluss nahe, dass gerade die Hamburg-Ergebnisse tatsächlich nicht repräsentativ sind.
Absolute Wahrheiten kann keine Studie bieten
Dementsprechend mit Vorsicht zu genießen ist daher auch folgende Aussage vom Horizont: „Auffallend ist, dass junge Unternehmen in Berlin und München ihre Mitarbeiterzahl kontinuierlich erhöhen, während Start-ups in Hamburg und den Regionen bei Neueinstellungen zurückhaltend sind.“ Konkret: Laut Studie sind in Hamburg in den kommenden zwölf Monaten nur 4,3 Neueinstellungen pro Startup geplant, in Berlin dagegen 11,8 (Bundesdurchschnitt: 6,6). Direkte Vergleichszahlen aus unserem Monitor gibt es nicht, allerdings zeichnet eine detailliertere Sonderauswertung aus dem Februar 2016 mit 195 Befragten ein positiveres Bild. Demnach wollten 72 % der Startups in den aus damaliger Sicht nächsten sechs Monaten bis zu zehn Neueinstellungen vornehmen, und 6 % bis zu 20.
Ob es tatsächlich dazu gekommen ist, wissen wir nicht. Jede Studie, auch wenn sie noch so gewissenhaft durchgeführt wurde, ist lediglich eine Momentaufnahme und bildet nur einen Teil der Realität ab. Viele Ergebnisse verleiten zu Spekulationen, weil weitere, möglicherweise entscheidende Zusatzinformationen fehlen. Deshalb vereinfachen manche Vertreter aus Politik und Medien zu sehr, wenn sie absolute Aussagen aus einer Erhebung wie dem DSM herausholen. Ein zweiter und dritter Blick auf die Zahlen vermittelt ein wesentlich differenziertes Bild. Auch wenn sich das nicht so wirkungsvoll vermarkten lässt.
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