Cybus und B. Braun auf neuen Wegen
Beim 2015 gegründeten IoT-Startup Cybus standen für die Gründer Pierre Manière, Marius Schmeding und Peter Sorowka bisher vor allem Werkzeugmaschinenhersteller im Fokus ihres Geschäftsmodells. Jetzt gehört auch die B. Braun Melsungen AG, einer der weltweit führenden Hersteller und Anbieter von Medizintechnik, Pharmaprodukten und Dienstleistungen, zum Kundenstamm des 13-köpfigen Teams aus Hamburg. Wir haben darüber mit Alexander Katzung, Vice President Acceleration & Innovation, und Arnd Hanstein, Director im Zentralbereich IT, beide B. Braun Melsungen AG, sowie mit Peter Sorowka, Technischer Geschäftsführer der Cybus GmbH, gesprochen.
Herr Katzung, die B. Braun Melsungen AG beschäftigt rund 62.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in aller Welt. Ihr Konzern gehört zu den globalen Top-Playern der Medizintechnik. Wie sind Sie da auf ein Hamburger Startup aufmerksam geworden, dass sich als IoT-Unternehmen mit einer Software-Lösung für die Vernetzung von Maschinen bislang mehr auf die Bereiche Automotive und Werkzeugmaschinenhersteller fokussierte?
Das haben wir auch Ihrer Plattform Hamburg Startups zu verdanken, über die wir uns vor fast drei Jahren kennenlernten. Seinerzeit war ich allerdings noch für den Accelerator eines anderen Corporates verantwortlich.
Bei B. Braun verantworte ich den Aufbau und die Steuerung des globalen und konzernweiten B. Braun Accelerators und unterstütze die Fachbereiche bei ihren Innovationsvorhaben, zum Beispiel beim Definieren einer Innovationsstrategie, dem Erarbeiten neuer und kundenorientierter Geschäftsmodelle oder dem Auffinden und Vernetzen mit externen Innovationen beziehungsweise Startups.
Als ich dann im vergangenen Jahr bei B. Braun die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Sparten startete, wurde mir gleich deutlich, dass Cybus sehr gut zu unserem spartenübergreifenden IoT-Projekt passt.
Es geht hier also nicht um die Teilnahme an einem klassischen Accelerator-Programm?
Alexander Katzung:
Nein, aber einen Accelerator für ausgewählte Startups in der Medizintechnik-Branche haben wir selbstverständlich auch. Dieses Programm ist für uns ein idealer Ansatz, innovativ denkende Menschen miteinander zu verknüpfen, junge Unternehmen über einen definierten Zeitraum auf vielfältige Weise zu fördern – zum Beispiel in Form von Know-how, Marktzugang und Finanzierung – und ihre Ideen schneller in nachhaltige Lösungen umzusetzen. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten, denn zum einen gibt das Programm uns die Möglichkeit, wertvolle Einblicke in zukünftige Trends, Geschäftsfelder und Methoden zu gewinnen, und zum anderen, strategische Partnerschaften zu etablieren, interessante Investmentmöglichkeiten oder innovative Lieferanten zu finden.
Bei dem Projekt mit Cybus haben wir geholfen, die Zusammenarbeit direkt mit den Fachbereichen beziehungsweise dem Projektleiter von ‚Internet of Medical Things (IoMT)‘, Arnd Hanstein, aufzubauen. Hier geht es konkret um das Prototyping des ‚Internet of Medical Things (IoMT)‘ Projektes.
Arnd Hanstein:
Für die Menschen, die tagtäglich mit unseren Medizinprodukten arbeiten – zum Beispiel Ärzte und Pflegepersonal – wird es immer selbstverständlicher, mit ‚Smart Devices‘ umzugehen. Man denke da nur an das Smartphone, über das sich die Heizung in der eigenen Wohnung von unterwegs aus steuern lässt. Diese Erwartungshaltung wird vom privaten Umfeld natürlich mit an den Arbeitsplatz gebracht und auch an die Produkthersteller weitergegeben. B. Braun setzt sich, wie wohl die allermeisten Unternehmen, die technische Geräte im Markt haben, mit Themen wie ‚Smart Devices‘ und Cloud intensiv auseinander. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Was bedeutet es, ein Medizinprodukt – das sehr strengen regulatorischen Auflagen unterliegt – smart zu machen? Neben der generellen technischen Machbarkeit geht es insbesondere um den Sicherheitsaspekt. Mit dem Prototyping des ‚Internet of Medical Things‘ möchte B. Braun verschiedene Lösungsplattformen und Komponenten kennenlernen und daraufhin untersuchen.
Peter, bisher hatte Cybus sich mit dem Produkt ‚Connectware‘ im Wesentlichen darauf fokussiert, Maschinen in der industriellen Produktion so miteinander zu vernetzen, dass die bei jedem Arbeitsschritt zu Hunderten anfallenden, bislang noch ungenutzten Daten zum Beispiel dafür genutzt werden können, Fertigungsabläufe zu optimieren oder Mehrwertdienste zu entwickeln. Wie passt das mit Medizintechnik zusammen?
Sehr gut sogar. Denn letztendlich macht es kaum einen Unterschied, ob Sie Produktionsanlagen in der Industrie oder medizinische Geräte in einem Klinikum miteinander verknüpfen, um einen wie auch immer gelagerten Mehrwert aus den gewonnen Daten zu ziehen. Ja, man kann sogar sagen: Der entscheidende USP von Cybus kommt insbesondere bei einem Einsatz in der Medizintechnik richtig zum Tragen: die Kontrolle und Sicherheit der Daten. Wir von Cybus stellen mit unserer Lösung sicher, dass die Betreiber der Geräte jederzeit die volle Hoheit über ihre Daten behalten und selbst steuern können, wer wann auf welche Informationen Zugriff hat.
Kannst du uns das bitte an einem Beispiel erläutern?
Gerne. Nehmen wir zum Beispiel Dialysegeräte: Die Wartung dieser hochkomplexen Instrumente ist sehr personal- und zeitintensiv. Denn bislang sieht es in der Praxis so aus, dass der Techniker die Geräte in einem vorgegebenen Turnus oder nach Ausfall untersucht und dann erst feststellt, welche Ersatzteile benötigt werden. Unsere Connectware erfasst dagegen alle relevanten Daten im laufenden Betrieb und signalisiert frühzeitig, welche Teile wann ausgetauscht werden müssen.
Von diesen kürzeren Stillstandzeiten profitiert nicht nur der Betreiber durch eine deutliche Effizienzsteigerung, sondern vor allem auch die Patientinnen und Patienten, wenn die für sie lebensnotwendigen Maschinen wartungsfrei funktionieren. Es geht hier übrigens um die rein technische Überwachung der Geräte, Patientendaten werden explizit nicht erfasst. Bei unserer Lösung behalten die IT-Verantwortlichen der Krankenhäuser jederzeit die volle Kontrolle darüber, wer wann welche Informationen erhält. Mit Cybus gibt es keine Black Boxes, die blind irgendwelche Daten in die Cloud funken. Der Datenschutz ist unser oberstes Gebot.
Herr Hanstein: B. Braun hatte für das IoMT-Projekt auch große Systemhäuser eingeladen. Was reizt Sie an den Lösungsansätzen von Cybus?
„Die End-to-End-Sicherheit hat oberste Priorität für unsere zukünftige Lösung. Gleichzeitig muss Sicherheit aber auch administrierbar und verständlich für die Verantwortlichen bleiben. Die Connectware hat uns im Ausschreibungsprozess diesbezüglich überzeugt, so dass wir mit Cybus nun im Prototyping sind. Die Zusammenarbeit von einem großen, manchmal doch eher behäbigen Konzern mit einem kleinen agilen Startup halte ich aber generell für sehr befruchtend. Auch – oder vielleicht sogar gerade – wenn der Culture Clash nicht immer einfach zu managen ist, treffen doch zwei sehr unterschiedliche (Arbeits-)Welten aufeinander.
Vielen Dank für das Interview!
Über Alexander Katzung
Alexander Katzung ist bei dem Medizintechnikunternehmen B. Braun Melsungen AG als Vice President Acceleration & Innovation tätig. Zu seinen Hauptaufgaben gehören der Aufbau und die Steuerung des globalen und konzernweiten B. Braun Accelerators und die Bildung eines globalen Netzwerks zur Bewertung, Finanzierung und Implementierung von Innovationen. Vorher gründete und leitete er den Aerospace Accelerator „Airbus BizLab“ in Hamburg und arbeitete für AIRBUS in verschiedenen Rollen in den internationalen Bereichen Wissens- & Innovationsmanagement, Digitalisierung und Organisationsentwicklung. Zuvor war er als freier Unternehmensberater in verschiedenen Projekten tätig. Alexander Katzung engagiert sich ehrenamtlich im Rahmen von Lehraufträgen, Vorträgen oder als Mentor u. a. bei der Leuphana Universität, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und dem Startup Bootcamp Digital Health. Er hat Betriebswirtschaftslehre, Psychologie und Soziologie in Marburg und Kassel studiert.
Über Arnd Hanstein
Arnd Hanstein ist Director im Zentralbereich IT der B. Braun Melsungen AG. Zu seinem Verantwortungsbereich gehört die cross-divisionale Initiative „Internet of Medical Things“, die die Basis für ein Digital Health Ökosystem der B. Braun AG inklusive aller Sparten bilden wird.
Vor seiner Zeit bei B. Braun leitete Arnd Hanstein die Hard- und Softwareentwicklung hochsicherer elektronischer Bezahlprodukte. Davor war er viele Jahre als Leading Consultant für ein großes Beratungshaus im Finanzdienstleistungssektor tätig.
Über Peter Sorowka
Peter Sorowka hat einen Abschluss als Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik mit Schwerpunkt auf Signalverarbeitung und Kommunikationsnetze der Technischen Universität Hamburg. Als Software-Architekt kann er auf 18 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Betreuung von Internet-Backend-Systemen zurückblicken. Nach mehrjähriger Forschungs- und Lehrtätigkeit am Institut für Nachrichtentechnik der TUHH ist er nun Mitgründer des Industrie 4.0-Unternehmens Cybus, welches unter seiner Leitung zukunftsweisende und sichere Integrations- und Gatewaylösungen für Industriedaten entwickelt. Er ist engagiert in der International Data Spaces Association sowie Mitglied der Steering Group der Arbeitsgruppe „Industrial Analytics“ der Digital Analytics Association Germany.
Fotos: B.Braun / Cybus