Craft Beer – die hohe Kunst des Bierbrauens
Deutschland gilt als Land der Biertrinker, dabei sinkt der Pro-Kopf-Konsum schon seit einigen Jahren. Gegen diesen Trend stemmen sich sogenannte Mikrobrauereien, die Startups unter den Bierproduzenten. Gerade in Großstädten boomt die Craft Beer-Szene, auch in Hamburg. Für unsere Reihe „Spot on: Food & Health“ haben wir uns da mal ein wenig umgesehen.
Wie so vieles hat auch die Craft Beer-Bewegung ihren Ursprung in den USA. Dort fingen bereits in den 1970er Jahren die ersten unabhängigen Brauereien damit an, handwerklich hergestelltes Bier, so die Übersetzung, anzubieten. Bis der Trend nach Deutschland kam, dauerte es eine Weile; erst im neuen Jahrtausend macht sich die ersten deutschen Bierindividualisten daran, gegen die Pilsmonokultur anzubrauen.
Ratsherrn machte Craft Beer in Hamburg populär
In Hamburg wurde Craft Beer durch den Neustart der Ratsherrn Brauerei im Jahr 2012 zum Thema. Die neue Anlage in den Schanzenhöfen samt Craft Beer Store und dem Gasthaus Altes Mädchen sorgten dafür, dass Begriffe wie Pale Ale oder Porter schnell den Wortschatz der Szenegänger bereicherten. Da Ratsherrn zur Nordmann Unternehmensgruppe gehört, einem seit 1908 existierenden Konzern, gilt das Unternehmen allerdings nicht wirklich als „Indie“, um einen Begriff aus der Musikwelt zu entlehnen.
Aber was genau ist nun eigentlich Craft Beer, und wer gehört in Hamburg zu den wahren Vertretern der Bewegung? Solche Fragen kann Marvin Försterling beantworten, einer der Gründer des CraftBeerMarket. Marvin ist ursprünglich Wirtschaftsinformatiker, und auch seine Partnerin Sina Salwicek, zuständig für die Finanzen, ist eine Quereinsteigerin. Ihre gemeinsame Leidenschaft für besonderes Bier brachte sie auf die Idee, einen Onlineshop für edles Gebräu zu eröffnen. Ende 2015 ging der online.
Das Gründerduo erkannte darin eine Marktlücke, da die meist nur auf lokaler Ebene bekannten Brauereien sonst kaum eine Chance auf bundesweite Marktpräsenz hätten. Und das wäre schade, denn das Angebot an Marken und Sorten ist riesig.
Einige der für Craft Beer wichtigsten Biertypen
- Pale Ale. Ursprünglich wurde Ale in England ohne Hopfen gebraut. Das ist schon lange nicht mehr der Fall, sodass der Begriff synonym für Bier verwendet werden kann. Pale Ale ist die helle Variante, die aber in der Regel weniger blass ist als Pils und ein ausgeprägtes Hopfenaroma besitzt.
- India Pale Ale (IPA). Die meist etwas herbere und alkoholreichere Variante wurde einst für den Export nach Indien gebraut. Der höhere Alkoholgehalt sollte die Haltbarkeit verbessern. Am Zielort angekommen, hätte das IPA theoretisch verdünnt werden sollen. Hat in der Praxis kaum jemand gemacht.
- Porter. Wie bei anderen Sorten auch ist die Definition nicht völlig eindeutig. Porter sind auf jeden Fall immer dunkel und meistens Starkbiere (über 6,5 % Alkoholgehalt) mit malzbetontem Geschmack.
- Stout. Ein enger Verwandter des Porter und daher ebenfalls immer dunkel. Die berühmteste Stout-Marke ist Guinness.
- Lager. Auch dieser Begriff wird unterschiedlich verwendet, meist aber in Zusammenhang mit hellen, kalt gelagerten Bieren. Dann fällt auch Pils in diese Kategorie.
- Bockbier. Ebenfalls ein Starkbier mit entsprechend hoher Stammwürze. Die Stammwürze bezeichnet den Anteil der aus dem Malz und Hopfen im Wasser gelösten Stoffe vor der Gärung. Beim Doppelbock ist der Wert besonders hoch.
- Weizenbiere. Wie der Name schon sagt: Biere, für die als Grundstoff Weizen statt Gerste verwendet wird.
Der geübte Biertrinker kennt natürlich Sorten wie Bockbier und Weizen schon lange und nicht unbedingt aus der Craft Beer-Szene. Tatsächlich hat die das Brauen nicht neu erfunden, sondern ledglich alte Tugenden wiederentdeckt. Dabei kommt es vor allem auf die Zutaten an. Schon die Hefe – man unterscheidet grundsätzlich zwischen unter- und obergärig, was mit der Gärtemperatur zu tun hat – kann je nach Verwendung den Geschmack beeinflussen. Genau wie die Art des Malzes, also des erst gekeimten und dann getrockneten Getreides.
Die wichtigste Zutat ist aber der Hopfen, der in zahlreichen Sorten zum Einsatz kommt. Bei manchem Craft Beer werden die sogar auf dem Flaschenetikett genannt. Allgemein wird Hopfen mit dem bitteren Geschmack von Bier in Verbindung gebracht, weshalb manche den Verdacht haben, dass beispielsweise ein fruchtiges Pale Ale mit irgendwelchen Zusätzen hergestellt wird. Tatsächlich kommt der vermeintliche Fruchtgeschmack von speziellen Hopfensorten, die bei Industriebier nicht verwendet werden.
Craft Beer hat mehr Geschmacksvarianten als Wein
Dazu kommen die Beschaffenheit des Brauwassers und die Braumethode, sodass Bier mehr Geschmacksvarianten aufweisen kann als Wein, wie Marvin vom CraftBeerMarket erklärt. Er empfiehlt daher auch, Craft Beer ähnlich wie Wein aus geeigneten Gläsern zu trinken und nicht aus der Flasche. Zu kalt sollte es auch nicht sein, sonst gehen die feinen Aromen verloren. Der Trend geht zumindest in den USA übrigens zur Dose, da die den Geschmack am besten konserviert.
Hamburg hat eine jahrhundertealte Tradition als Brauereistandort, und so ist es nicht verwunderlich, das die Hansestadt nach Berlin eines der deutschen Craft Beer-Zentren ist. Wildwuchs, Hopper Bräu, elbPaul, von Freude und Kehrwieder Kreativbrauerei heißen einige der hiesigen Marken. Manche gehören sogenannten Kuckucksbrauern (der Begriff ist nicht bei allen beliebt), die keine eigene Brauerei besitzen, sondern fremde Anlagen mitnutzen. Andere stellen ihr Bier komplett mit eigenen Maschinen her.
Zu ihnen gehört Simon Siemsglüss, Chef von Buddelship. Er ist nicht ganz untypisch für die Szene, zugleich Quereinsteiger und ausgebildeter Profi. Nach seinem wirtschaftspolitischen Studium kam er viel in der Welt herum, unter anderem nach Kanada. Dort infizierte ihn das Craft Beer-Fieber, und er machte eine Ausbildung an der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei (VLB) in Berlin. Seine neu erworbenen Kenntnisse konnte er bei Paulaner einsetzen, aber der Traum von der eigenen Brauerei blieb immer im Hinterkopf.
Bei Buddelship gibt es fast monatlich eine neue Sorte
2013 erfüllte sich Simon dann seinen Traum, von Beginn an mit einer eigenen Brauanlage und ohne Hilfe von Investoren. Bis heute hat er über 30 Sorten kreiert. Vier davon sind ganzjährig im Angebot, andere nur saisonal oder kurzzeitig als Sondereditionen. Fast jeden Monat kommt mittlerweile eine neue Sorte hinzu. Von der Vermischung und Verarbeitung der Zutaten über die Gärung und Lagerung bis zur Abfüllung in Flaschen vergehen im Durchschnitt vier Wochen. 1.000 Hektoliter Bier hat Buddelship in der Warnstedtstraße in einem Gewerbegebiet im Bezirk Eimsbüttel im Jahr 2016 produziert.
Verkauft wird überwiegend im Einzelhandel, in Spezialgeschäften und auch bei Edeka. Die Gastronomie tut sich noch schwer mit Craft Beer, auch wenn es inzwischen darauf spezialisierte Gaststätten wie das erwähnte Alte Mädchen oder den Galopper des Jahres gibt. Dementsprechend skeptisch betrachtet Simon den vermeintlichen Boom. Eine klare Entwicklung kann er noch nicht ausmachen, die Konsumenten halten sich bisher eher zurück. Viele kennen Craft Beer einfach noch nicht, obwohl auch immer mehr Großbrauereien auf den Markt drängen. Wer es aber einmal probiert hat, wird von dem Geschmack und der Vielseitigkeit überrascht sein. Und vielleicht dafür sorgen, dass der Pro-Kopf-Verbrauch bei Bier wieder steigt.
Spot on: Food & Health
Hamburg ist ein Food-Standort und optimaler Eintrittsmarkt für Lebensmittelhersteller aller Art. Über 10% der Hamburger Startups bei uns im Monitor sind der Lebensmittelbranche zuzuordnen, und es werden immer mehr. Sie setzen als Innovatoren neue Trends, entwickeln neue Produkte, Vertriebswege und Geschäftsmodelle.
Geschätzt verfügt das Hamburger Startup Ökosystem über mindestens 100 Food-, Beverage- oder Food-Tech-Startups. Ein in vieler Hinsicht großes Thema! Daher werden sich unsere Redaktion und unser Eventmanagement dem Thema Food in den nächsten Monaten mit dem ‚Spot on: Food & Health Special‘ intensiv widmen! Bleibt also gespannt!
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