Auf Startup-Entdeckungsreise bei der solutions.hamburg 2017
Drei Tage geballtes Digitalwissen mit fast 400 Programmpunkten, rund 600 Speakern und circa 3.300 Besuchern – die von Silpion organisierte solutions.hamburg wird immer größer. Startups standen dabei vergangene Woche nicht unbedingt im Mittelpunkt, doch auch sie haben ihre Zeichen gesetzt. Wir haben genau hingeschaut und dabei viel Neues erfahren.
Ein etabliertes Startup – das klingt zunächst wie ein Widerspruch in sich, doch bei FASHION CLOUD ist dieser Begriff inzwischen durchaus angebracht. Seit der Gründung 2015 geht es bei der Plattform für den Modehandel steil bergauf. Von Beginn an dabei war das Modehaus Ramelow, und da dessen geschäftsführender Gesellschafter Marc Ramelow zudem ein Faible für Startups hat und gleich vier von ihnen unterstützt, ist das eine ideale Kombination. Auf der solutions.hamburg stellten er und Martin Brücher von FASHION CLOUD die neue App Clara vor. Clara weiß, ob und wo welches Kleidungsstück auf Lager ist, und hilft so dem Verkaufspersonal, Kunden im Laden noch besser zu beraten. Innerhalb von fünf Monaten gingen mit ihrer Hilfe schon über 1.000 Bestellungen raus.
Noch ist Augmented Reality nicht der große Problemlöser
Digitalisierung kann also auch dem Einzelhandel helfen, doch nicht jede neue Technologie bringt jeder Branche sofort Vorteile. Viele erhoffen sich von der Augmented Reality (AR) wahre Wunderdinge, also von der Einbindung digitaler Elemente in die reale Welt. Ausgerechnet Dr. Fedor Titov, Geschäftsführer von attenio, trat da ein bisschen auf die Euphoriebremse. „Ausgerechnet“ deshalb, weil attenio eigentlich als Vorreiter für die Anwendung von AR in der Industrieproduktion gilt. Zurzeit aber kann Augmented Reality allein die Anforderungen der Kunden etwa aus dem Anlagenbau nicht erfüllen. Zu komplex ist die Materie, sodass bei der Beratung auch andere Elemente aus dem Internet of Things, Virtual Reality und Wearables zum Einsatz kommen. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis AR die erhoffte Rolle wird spielen können.
Neue Geschäftsmodelle bei jetlite und recalm
Wie man sein Geschäftsmodell den Markterfordernissen anpasst und erweitert, zeigte auch jetlite. Die Ursprungsidee ist hier, die unterschiedlichen Wellenlängen von Licht gegen Jetlag einzusetzen. Vereinfacht gesagt: Rotes Kabinenlicht im Flugzeug macht müde, blaues Licht macht munter. Aber auch mit passender Ernährung lässt sich den Schlafproblemen bei Langstreckenflügen entgegenwirken, weshalb jetlite inzwischen eine Ernährungsexpertin im Team hat. Ebenfalls neu: Eine App, über die sich die Beleuchtung im Auto steuern lässt. Vorerst nur für Passagiere auf den Rücksitz, bald vielleicht für Fahrer in autonomen Fahrzeugen, die bei falscher Beleuchtung abschlaffen könnten.
Während sich jetlite primär dem Licht widmet, dreht sich bei recalm alles um Klänge. Genauer gesagt, um Krach und dessen Neutralisierung. Beide Startups sind vom Airbus BizLab gefördert worden. Kein Wunder also, dass recalm seine Erfindung zuerst auf die Reduzierung von Lärm in Flugzeugen ausrichtete und sie in die Passagiersitze einbauen wollte. Inzwischen hat sich allerdings ein noch geeigneterer Zielmarkt herauskristallisiert. Fahrer von Bau- und Landmaschinen sind in ihrem Berufsalltag hoher Lärmbelastung ausgesetzt und deshalb potenziell dankbare Abnehmer für ein System, das gesundheitsschädlichen Krach abmildert. Akustische Warnhinweise oder Anrufe vom Chef beispielsweise kommen übrigens trotzdem ungefiltert ins Ohr.
Gute Nachrichten von Patchie
Im Juni berichteten wir über die App Patchie, die Kindern mit der Krankheit Mukoviszidose hilft, ihre täglichen Therapiemaßnahmen spielerisch zu meistern. Jetzt gibt es gute Nachrichten: Eine zusammen mit der Berliner Charité durchgeführte Machbarkeitsstudie ist sehr erfreulich verlaufen. Eltern bedanken sich für die deutlichen Fortschritte, die die kleinen Patienten im Umgang mit der Krankheit gemacht haben. Kinder möchten aus dem vorerst zeitlich begrenzten Projekt gar nicht mehr aussteigen und wollen wissen, wie die Geschichte von Patchie weitergeht. Solche Fragen beantwortet Marc Camps, Gründer von Birds and Trees, der Firma, die die App entwickelt hat, natürlich gern. Schließlich sind sie ein Beleg dafür, dass er und sein Team auf dem richtigen Weg sind.
Ob das auch für Fadenfeld gilt, lässt sich noch nicht sagen, denn dieses Startup ist wirklich brandneu. Fadenfeld hat sich der Stringart verschrieben, einer Kunstform, bei der Fäden um in eine Platte geschlagene Nägel gewickelt werden und ein Bild ergeben. Das steckt also viel Handarbeit drin, aber auch IT-Know-how, denn Grundlage sind ganz normale Fotos zum Beispiel von Familienmitgliedern. Fadenfeld berechnet dann, wie sich diese in Fadenbilder umsetzen lassen. Das Team setzt sich hauptsächlich zusammen aus Absolventen der TU Hamburg und des NIT – nicht die schlechtesten Adressen für den Beginn einer Startup-Karriere.
Fotosafari bald in der U-Bahn?
Noch ganz am Anfang einer möglichen Erfolgsgeschichte stehen auch die Teilnehmer am nextReality.Hamburg Hackathon, der parallel zur solutions.hamburg stattfand. Er stand unter dem Motto „Intelligent Transport Systems“ und beschäftigte sich mit der Mobilität in der Großstadt. Insgesamt acht Teams entwickelten unter Einsatz von Virtual und Augmented Reality Ideen und Apps, vier von ihnen wurden mit Geldpreisen belohnt. Den 1. Platz sicherte sich die Hamburg Safari, die langweilige U-Bahn-Fahrten unterhaltsamer machen soll. Bei dem AR-Spiel können virtuelle Tiere fotografiert werden, ähnlich wie bei Pokémon Go. In der innerhalb von nur zwei Tagen entwickelten Demoversion sah das schon sehr ansprechend aus.
Das waren nur ein paar der eher kleinen Geschichten, die eine Veranstaltung wie die solutions.hamburg auch ausmachen. Genau wie die großen, etwa der Teil des Konferenzprogramms, den Hamburg@work anlässlich seines 20. Geburtstags veranstaltete. Oder der Auftritt der Health AG, die für einen Tag gleich eine ganze Halle übernommen hatte. Über 200 Personen waren an der Organisation und Durchführung des Kongresses beteiligt, der in dieser Art inzwischen führend in Deutschland ist. Den fröhlichen Abschluss bildete wie immer das Silpion Sommerfest. Trotz miesen Wetters wurde kräftig gefeiert, und während die Letzten noch ihren Kater auskurieren, haben die Ersten wahrscheinlich schon wieder mit der Planung für 2018 begonnen.
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