AIRY – das Luftverbesserungs-Startup im Wandel
Mit einem System, das den Wurzeln von Zimmerpflanzen mehr Raum verschafft, um die Luftqualität deutlich zu verbessern, hat AIRY sich schon viele positive Schlagzeilen verschafft. Jetzt soll eine neue Geschäftsführung dafür sorgen, dass das Startup langfristig auf wirtschaftlich gesunden Beinen stehen kann.
Pflanzen sorgen für bessere Luft, indem sie bei der Fotosynthese über ihre Blätter CO2 in Sauerstoff umwandeln. Das ist gängiges Schulwissen. Sie können aber noch viel mehr: Mit ihren Wurzeln filtern sie Schadstoffe wie Feinstaub und flüchtige organische Verbindungen (VOCs) aus der Luft. Das fand die NASA heraus, als sie nach Methoden zur Verbesserung der Luftqualität in Raumstationen suchte. Das Prinzip funktioniert natürlich in allen geschlossenen Räumen, in denen buchstäblich dicke Luft herrscht. Das Problem ist nur, dass in herkömmlichen Pflanzentöpfen die Wurzeln kaum Platz haben, diese Wirkung zu entfalten.
Das System von AIRY gibt Pflanzen mehr Luft zum Filtern
Hier kommt die Erfindung des 2015 gegründeten Startups AIRY ins Spiel, die mit dem Begriff „Blumentopf“ nicht wirklich angemessen beschrieben ist. Das System verfügt über Lamellen im unteren Bereich und macht sich den Kamineffekt zunutze. Er bewirkt, dass kontinuierlich Luft an die Wurzeln gelangt. Den Effekt verstärkt noch ein spezielles Substrat, das weitaus durchlässiger ist als normale Blumenerde und als idealer Wasserspeicher dient. Mit den passenden Pflanzen bestückt, die es bei AIRY ebenfalls zu kaufen gibt, kann das System mit elektrischen Luftreinigern durchaus mithalten oder sie sogar übertreffen. Das ergaben eine Untersuchung und ein Praxistest des ZDF-Magazins WISO.
AIRY hatte also ein Produkt entwickelt, das eine echte Innovation darstellte und vielen Menschen mehr Lebensqualität verschaffen konnte, nicht nur Allergikern. Trotzdem lief das Geschäft nicht so rund wie gewünscht – bei Startups leider keine Seltenheit. Daher übernahm Anfang 2020 ein Familiy Office im beiderseitigen Einverständnis das Unternehmen von den ursprünglichen Gründern (ihre Geschichte könnt ihr hier nachlesen), um es neu zu positionieren. Als Leiter des Produktmanagements kam Stephan Hagen dazu. Er war zuvor in der Spielwarenbranche beschäftigt und auch mit Heimtierbedarf, was ihm viele Kontakte einbrachte, die er auch gut für seinen neuen Job einsetzen kann.
Das Produkt steht, Herausforderung sind Marketing und Vertrieb
Als Geschäftsführer fungiert zurzeit Hendrik Knopp, der zugleich Managing Director bei Aphria Germany ist und sich dort mit Cannabisprodukten beschäftigt. Mit Pflanzen kennt er sich also aus, und das beide Unternehmen quasi Tür an Tür im Schanzenviertel beheimatet sind, ist auch kein Nachteil. Die Doppelfunktion ist dennoch zeitlich begrenzt, schon im kommenden Januar soll eine neue Geschäftsführung übernehmen. Am AIRY-System selbst gibt es da kaum etwas zu verbessern. Es ist patentgeschützt und preisgrekrönt, in drei Größen und einer Reihe von Farben erhältlich und in Funktion und Design ausgereift. Das Mineralsubstrat, wie alles andere „Made in Germany“, wurde noch einmal verbessert. Das Pflanzenangebot besteht aktuell aus sechs Arten, die unterschiedliche und sich ergänzende Eigenschaften mitbringen.
Die eigentliche Herausforderung besteht also darin, Marketing und Vertrieb weiter voranzubringen. Bei der Zielgruppe konzentriert man sich vorerst auf Endverbraucher, also nicht auf Großkunden, die ihre Büros mit den Systemen ausstatten wollen. Bisher ist AIRY ausschließlich online erhältlich, im eigenen Shop und bei Amazon. Natürlich wäre auch der Einzelhandel, etwa Baumärkte und Gartencenter, ein geeigneter Vertriebskanal. Allerdings ist das Produkt relativ erklärungsbedürftig, etwa durch Videos am Verkaufsort, es fehlt noch an einer geeigneten Außendienststruktur.
Gute Raumluft ist wertvoller denn je
Gemeistert hat AIRY schon die Herausforderung des Versands von immerhin drei verschiedenen Produkten (System, Substrat, Pflanze) von drei verschiedenen Herstellern und Lieferanten. Die Sachen lassen sich einzeln oder zusammen bestellen und kommen als Gesamtpaket umweltfreundlich verpackt, also ohne Plastik oder Styropor. Dabei ist dafür gesorgt, dass die Pflanzen auch mehrere Tage in der Verpackung unbeschadet überstehen. Übrigens war ursprünglich noch ein weiteres Produkt für AIRY geplant, nämlich ein Gerät zur Messung der Luftqualität. Das Projekt ist auch nicht eingestellt, sondern wird in einem eigenen Unternehmen weitergeführt, wo gerade ein neuer Prototyp entsteht.
Der Erfolg von AIRY wird nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit sich der Nutzen des Systems herumspricht. Wer einmal seine Wohnung komplett ausgestattet hat und seine Pflanzen pfleglich behandelt, muss so schnell nichts nachbestellen, denn auch das Substrat hat eine lange Nutzungsdauer. Für echtes Wachstum kann also nur das Neukundengeschäft sorgen. Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden, denn Pflanzen machen die Wohnung nicht nur zu einem schöneren, sondern vor allem gesünderen Ort. Der ist bekanntlich gerade wertvoller denn je.