Digital Commerce Day: gute Aussichten für die Hamburger E-Commerce-Szene
Das Emporio-Hochhaus bietet im 23. Stock wahrscheinlich den besten Überblick über Hamburg, den die Stadt zu bieten hat. Der Digital Commerce Day sorgte am Mittwoch dennoch dafür, dass nicht alle Besucher ständig aus dem Fenster guckten, sondern ihre Aufmerksamkeit lieber dem Geschehen auf den zwei Konferenzbühnen schenkten. Wir haben uns vor allem die Beiträge von und mit Foodist, Just Spices, Stadtsalat und ABOUT YOU genauer angeschaut.
Alexander Djordevic, Gründer von Foodist, ist ein gern gebuchter Speaker und immer für ein paar knackige Zitate gut. So sagte er beim Digital Commerce Day über seinen Aufritt bei „Die Höhle der Löwen“ und den dort abgelehnten Deal: „Frank Thelen hat gefühlt 3,40 Euro für 90 % Anteile geboten.“ Und über seine Zusammenarbeit mit dem Teleshoppingsender QVC: „Da verkaufe ich Popcorn an Omas aus dem Osten.“ Dabei hatte er mehr zu bieten als nur flotte Sprüche; aktuelle Erfolgszahlen seines Unternehmens zum Beispiel. 2018 lag der Umsatz bei 15 Millionen Euro, in diesem Jahr sollen es 20 Millionen werden.
Foodist hat Erfolg dank verschiedener Geschäftsmodelle
Ein Garant für den fortgesetzten Aufschwung könnte die metacrew group, der neue Besitzer von Foodist werden (wir berichteten). Sie ist Spezialist für Aboboxen, die auch die Ursprungsidee von Foodist sind. Alexander rechnete vor, dass die für ihn schon ab dem dritten Monat profitabel sind, wobei ein Abo im Schnitt neun Monate hält. Trotzdem verlässt sich das Unternehmen schon lange nicht mehr auf dieses eine Geschäftsmodell und macht zusätzlich Umsätze über den eigenen Onlineshop, den Lebensmitteleinzelhandel und mit seiner Eigenmarke Mission MORE. Dabei entstehen eine Reihe von Synergien, die beispielsweise das Risiko von Neulistungen im Handel verringern, da die Produkte zuvor über die anderen Vertriebskanäle getestet werden können.
Als zusätzliche Einnahmequelle nannte Alexander die große Zahl an Kundendaten, die sich inzwischen angesammelt hätten. Lebensmittelproduzenten fehlt in der Regel der direkte Zugang zu den Kunden und damit die genaue Kenntnis ihres Kaufverhaltens und ihrer Präferenzen. Foodist hat diese Informationen und vermarket sie zunehmend. So lässt es sich leichter verkraften, im Ernstfall die Margen verringern und die Versandkosten selbst tragen zu müssen, um mit Konkurrenten wie Amazon mithalten zu können. Foodist geht als ständig neue Wege, um sich in einen heiß umkämpften Markt durchzusetzen. Das klappt anscheinend ganz gut, profitabel und schuldenfrei sein man bereits, versicherte Alexander.
So wurde Just Spices zur Lovebrand
Eine weitere Erfolgsgeschichte aus der Food-Szene erzählte Florian Falk, einer der Gründer von Just Spices aus Düsseldorf, unter der Überschrift „Aus dem Keller in die Regale“. Tatsächlich fing es 2012 in einem Keller an, von dem aus drei Jungs Gewürze, aus ihrer Sicht bisher so aufregend wie Socken, zu einem emotional aufgeladenen Produkt machen wollten. Das hat auch geklappt, mittlerweile ist Just Spices mit 220.000 Abonnenten die beliebteste Food-Marke Deutschlands auf Instagram, übrigens für das Startup der eindeutig wichtigste Marketingkanal. Der Start mit Gewürzmühlen war allerdings etwas holprig, bis der erste Auftrag eines Großkunden über 10.000 Stück eintraf.
Zur „Lovebrand“ wurde Just Spices nicht zuletzt durch das unverwechselbare Design. Auf jeder Dose ist das gezeichnete Porträt einer Person abgebildet, die an der Entwicklung des enthaltenen Gewürzes beteiligt war. Dadurch entsteht eine individuelle Identifikation mit dem Produkt. Durch solche Geschichten wurde das junge Unternehmen schnell zum Medienliebling. Rund 1.400 Beiträge hat Falk gezählt, nur für den ersten hat er Geld bezahlt. Die Markenbekanntheit hat dadurch einen erstaunlich hohen Wert von 26,7 % erreicht. Von diesem Erfolg beflügelt, hat Just Spices im November 2018 sein Sortiment erweitert und unter dem Namen „IN MINUTES“ eine Reihe von Fix-Produkten zum Beispiel für Curry- oder Nudelgerichte herausgebracht.
Am Anfang von Stadtsalat stand ein MVP
Ganz so weit ist Stadtsalat aus Hamburg noch nicht. Der Lieferdienst für gesunde und ungewöhnliche Salatkreationen steht noch vor dem großen Schritt, seinen Service auch über die Grenzen der Hansestadt hinaus anzubieten. Angefangen hat es 2015 mit der Idee, eine frische Alternative zu den üblichen Pizzas und asiatischen Gerichten anzubieten, und der Frage, ob dafür überhaupt ein Markt vorhanden sei. Gründer Moritz Mann verband seinen Vortrag mit der Erklärung, was ein MVP ist und wie das praktisch funktioniert. Den meisten ist der Begriff wahrscheinlich bekannt, deshalb hier nur eine ganz kurze Erklärung: MVP steht für „Minimum Viable Produkt“ und bezeichnet ein Produkt, das die Mindestvoraussetzungen für einen Test mit echten Kunden erfüllt.
Bei Stadtsalat war das eine an einem langen Wochenende gebaute Webseite. Nicht schön anzusehen, bot sie zumindest die Möglichkeit einen Salat zu bestellen. Am ersten Tag tat das genau eine Person, Moritz lieferte persönlich ab. Der Salat kam damals noch nicht aus eigener Produktion, auch hier galt, so wenig Aufwand wie möglich zu treiben. Langsam entwickelte sich das Geschäft, die Nachfrage stieg und Stadtsalat baute sein Angebot kontinuierlich aus. Heute macht das Startup alles selbst und liefert weit über 20.000 Salate im Monat. Das Vorgehen, mit einem MVP zunächst behutsam anzufangen, hat sich also ausgezahlt. Wer sich die gesamte Präsentation von Moritz ansehen möchte, kann das übrigens hier tun.
Hamburgs Unicorn ABOUT YOU bleibt auf Wachstumskurs
Wenn es darum geht, Vorzeigeunternehmen und -unternehmer aus der Hamburger Startup-Szene zu benennen, dann fallen fast immer die Namen ABOUT YOU und Tarek Müller. Daher war das Gespräch von Alexander Graf, selbst erfolgreicher Unternehmer und Betreiber des Blogs und Podcasts Kassenzone, einer der mit Spannung erwarteten Höhepunkte beim Digital Commerce Day. ABOUT YOU gilt immerhin als erstes Unicorn Hamburgs, also als Startup mit Milliardenbewertung. Nach Zalando ist die Otto-Tochter der größte Anbieter von Mode im Internet hierzulande, wobei noch immer ordentlich Luft nach oben ist. Zurzeit werden etwa 20 % aller Bekleidungsartikel über das Internet verkauft. Davon entfällt ein Marktanteil von nur 15 – 20 % auf die fünf größten Anbieter. Die Fragmentierung ist also noch sehr groß.
„Es ist wichtig, brutal paranoid zu bleiben“, formulierte Tarek drastisch die Wachstumsbestrebungen von ABOUT YOU. Dazu gehört, ständig seine Marketingkanäle dem Zeitgeist anzupassen. Google spielt kaum noch eine Rolle, Instagram und Pinterest werden immer wichtiger. Dabei ist die Neukundengewinnung nicht mehr das dringlichste Ziel. Bestandskunden sorgen inzwischen für 85 % des Umsatzes. Sie zu halten und zu noch mehr Einkäufen zu bewegen ist die wahre Königsdisziplin. Anders sieht das natürlich in komplett neuen Märkten aus, die ABOUT YOU gerade erschließt, beispielsweise in Osteuropa. Während das Unternehmen in Deutschland mittlerweile 80 % seiner Umsätze über das Smartphone macht, dominiert dort nach wie vor der Dektop.
Tarek Müller zieht es in die Politik
Fast schon archaisch mutet das etwa in Tschechien beliebte Zahlverfahren „Cash on Delivery“. Hier bekommt der Paketbote bei Lieferung Bargeld in die Hand gedrückt. Kein Problem, bis es zum nicht gerade seltenen Fall einer Rücksendung und damit Rückzahlung kommt. Was tun, wenn der Kunde dann nicht einmal ein Bankkonto hat? Solchen und ganz anderen Herausforderungen will sich Tarek gern noch ein paar Jahre stellen. Eine weitere Gründung wird es aber nicht geben, langfristig zieht es ihn in die Politik. Das bekräftigte er noch einmal beim Digital Commerce Day.
Dies waren nur einige der vielen Höhepunkte, die der Digital Commerce Day seinen rund 400 Besuchern geboten hat. Reichlich Gelegenheit zum Networking gab es natürlich auch und, das darf ruhig einmal erwähnt werden, ein sehr reichhaltiges und leckeres Catering. Die Veranstalter Etribes, Kassenzone und FH Wedel dürften zufrieden sein mit dem Event, das zudem am Donnerstag mit einer Reihe von Masterclasses eine attraktive Fortsetzung fand.
Übrigens: Wer noch mehr über Food-Startups und ihre Geschichten erfahren möchte, sollte sich das Food Innovation Camp nicht entgehen lassen. Tickets für das Event am 20. Mai in der Handelskammer Hamburg bekommt ihr hier.