Cargonexx bringt künstliche Intelligenz auf die Straße
Für den Transport von Waren sind Lastwagen nach wie vor unverzichtbar. Die Organisation der Fahrten ist allerdings noch sehr umständlich, besonders die vielen Leerfahrten sind ein Ärgernis. Mit künstlicher Intelligenz will das Hamburger Startup Cargonexx dieses Problem lösen.
Niemand steht gern im Stau, aber manchen kommen dabei die besten Ideen. Bei Rolf-Dieter Lafrenz war das so. Der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Schickler teilte sein temporäres Schicksal mit vielen Lastwagenfahrern und machte sich seine Gedanken über die Auslastung der Lkws. Auch als er den Stau längst hinter sich gelassen hatte, ließ ihn das Thema nicht mehr los. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Warenverkehr auf unseren Straßen und entwicklte aus den Erkenntnissen die Geschäftsidee für Cargonexx.
40 % der Ladeflächen von Lkws bleiben noch ungenutzt
Der Markt ist riesig. Um die 250.000 Transportunternehmen existieren in Europa und über 100.000 Verlader, deren Güter befördert werden müssen. Einen dominierenden Marktführer gibt es genauso wenig wie verbindliche Standards, dafür ein allgegenwärtiges Problem: Leerkapazitäten. Die liegen bei insgesamt 40 %, bei einem Viertel der Fahrten sind die Lkws sogar komplett leer. Den Rest machen Teilleerflächen aus.
Daraus resultiert eine enorme Verschwendung von Resourcen, aber auch die Möglichkeit, vorhandene Kapazitäten besser zu nutzen und damit Zeit, Geld und Energie zu sparen. Leichter gesagt als getan, denn viele Touren stehen erst 48, manchmal sogar nur 24 Stunden vor Start fest, eine langfristigere Planung ist da unmöglich. Cargonexx nimmt die Herausforderung an und setzt dabei künstliche Intelligenz ein.
Nach neun Monaten platzte der Knoten bei Cargonexx
Nach der Gründung Anfang 2016, dauerte es ein Jahr, bis die Software ihre Marktreife erlangt hatte. Das erforderte eine intensive Beschäftigung mit den Marktgegebenheiten und -teilnehmern und der Einspeisung von mehr als eine Million Daten zu Transporttouren. Danach vergingen noch einmal neun Monate, bis der Knoten geplatzt war. Zuvor musste erst das Netzwerk aus Kunden und Transportunternehmen wachsen und von der Wirksamkeit der Algorithmen überzeugt werden.
Auch die Suche nach Finanzierungen erwies sich zunächst als schwierig, die meisten Gesprächspartner sahen eher die Risiken als die Chancen. Private Investoren sprangen in die Bresche und können sich jetzt durch wachsende Erfolge bestätigt fühlen. Cargonexx ist keine Plattform, sondern ein vollwertiger und voll verantwortlicher Transportdienstleister, wenn auch ohne eigene LKW-Flotte. Die Kunden geben online ihre gewünschte Tour in Auftrag und bekommen automatisch das bestmögliche Angebot, ohne großen Aufwand und Papierkram.
Die Software kann dabei wesentlich mehr Informationen verarbeiten als jeder Mensch. Selbst der beste und erfahrenste Disponent kennt nur einen kleinen, regional begrenzten Teil des Marktes. Niemand hat auch nur ansatzweise einen Überblick über die rund 2,5 Millionen Lkw-Touren in Europa – pro Tag! Eine künstliche Intelligenz hat da ganz andere Möglichkeiten. Die selbstlernenden Algorithmen von Cargonexx können inzwischen mit steigender Trefferquote Nachfrage und Preise prognostizieren.
Damit lassen sich schon jetzt Leerfahrten um die Hälfte verkürzen. Der daraus resultierende geringere Kraftstoffverbrauch schont nicht nur die Geldbeutel der Auftraggeber, sondern auch die Umwelt. Bisher konzentriert sich Cargonexx auf die Vermeidung von kompletten Leerfahrten. Teilladungen, also halbleere Lastwagen, sind noch einmal ein deutlich komplexeres Thema, aber auch daran arbeitet das Startup.
Ganz Europa ist das Ziel
Mittlerweile besteht das Team aus vierzig Personen und wächst weiter. Vertriebsteams in Spanien, Frankreich und Italien sind im Aufbau, Touren von Deutschland in Nachbarländer inzwischen möglich. Die Kunden von Cargonexx gehören in der Regel zu den Marktführern in ihren Branchen. Die Namen bleiben vertraulich, aber einen Jahresumsatz von mehr als 500 Millionen Euro erreichen sie alle. Dagegen nimmt sich der von dem Startup für das 4. Quartal angestrebte Umsatz von drei Millionen Euro bescheiden aus, aber das ist ja auch erst der Anfang.
Insgesamt ist der Markt für ganz Europa jährlich 350 Milliarden Euro schwer. Selbst ein Marktanteil von nur 1 % würde Cargonexx schon zum Umsatzmilliardär machen. Das bleibt vielleicht ein Traum, aber wenn es Branchen gibt, in denen fast unbegrenztes Skalieren möglich scheint, dann gehört diese dazu. Ein Engpass sind zurzeit am ehesten noch die Fahrer. Aktuell sind rund 1,5 Millionen Fahrer auf Europas Straßen unterwegs. Ein Drittel von ihnen ist allerdings mindestens 55 Jahre alt.
Der selbstfahrende Lkw könnte schon bald Realität werden
Nachwuchs ist immer schwerer zu finden, wird aber vielleicht bald auch gar nicht mehr benötigt. Schon 2025 könnten die ersten selbstfahrenden Lastwagen über unsere Autobahnen rollen, glaubt Rolf Dieter Lafrenz. Damit wäre die Autonomiestufe 4 erreicht, bei der Fahrer nur noch in Ausnahmefällen eingreifen müssten. Nur im innerstädtischen Verkehr wären echte Menschen dann weiterhin unverzichtbar.
Das ist alles noch Zukunftsmusik; in der Gegenwart verfeinert Cargonexx weiter seine Prozesse und hat dafür schon einige Preise gewonnen. Bald könnte ein weiterer dazukommen, denn das Startup hat es ins Finale unseres Startups@Reeperbahn Pitch geschafft. Wer bei diesem Ereignis dabeisein möchte: Hier gibt es Tickets!
Alle Fotos: Cargonexx