Finn Plotz: von Vion zu Seon
Finn Plotz galt als ein Wunderkind der Startup-Szene. Sein erstes Unternehmen gründete er gleich nach dem Abitur, seine Universalfernbedienung Vion sorgte für jede Menge Schlagzeilen und gewann einige Preise. Nur der geschäftliche Erfolg blieb leider aus. Jetzt will er mit seinem neuen Startup Seon zunächst in Kapstadt für mehr Sicherheit sorgen.
Das war eine Geschichte wie aus einem Startup-Märchenbuch: Ein Abiturient aus dem beschaulichen Glückstadt erfindet eine Fernbedienung, die alle anderen Fernbedienungen überflüssig macht, eine Art eierlegende Wollmilchsau der Unterhaltungselektronik. Finn Plotz heißt der junge Mann, der die Medien begeisterte und Investoren dazu bewegen konnte, ihm insgesamt drei Millionen Euro für seine Idee anzuvertrauen.
Vion: tolle Idee, zu spät verwirklicht
Vion nannte er seine Erfindung, die aus einer Set-Top-Box und einer auf das Wesentliche reduzierten Fernbedienung bestand. Zumindest auf das im Jahr 2013 Wesentliche, und damit ist das Hauptproblem von Vion schon benannt. Vom ersten Konzept bis zum verkaufsfertigen Produkt vergingen drei Jahre, in denen viel passiert ist. Mittlerweile haben sich internetfähige Smart-TVs und Streamingdienste wie Netflix etabliert, Entwicklungen, die Vion plötzlich ziemlich alt aussehen ließen.
Lange Zeit hielt Finn an seinem ursprünglichen Businessplan fest und versuchte ihn mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen, ohne ihn im Kern zu hinterfragen. Mitte 2017 wurde aber immer deutlicher, dass Vion weit hinter den Erwartungen zurückbleiben würde. Eine technologische Nachrüstung wäre zu teuer geworden, Verhandlungen über eine Übernahme durch einen südkoreanischen Konzern platzten. Letztlich blieb Finn Anfang 2018 nichts anderes übrig, als den Stecker zu ziehen und Insolvenz anzumelden.
Kapstadt: wunderschön und sehr gefährlich
Das war eine ebenso schmerzhafte wie lehrreiche Erfahrung für ihn, aber nicht sein Ende als Unternehmer. Schon seit 2016 hatte er nämlich eine neue Geschäftsidee entwickelt. Als Austauschschüler hatte er eine Zeitlang in Kapstadt verbracht. Kapstadt zählt zweifellos zu den schönsten Städten der Welt, aber leider auch zu den gefährlichsten. In der Studie einer mexikanischen Nichtregierungsorganisation belegt die südafrikanische Metropole den 15. Rang der gewalttätigsten Städte mit 2.493 Morden im Jahr 2017. Zum Vergleich: Die Polizeiliche Kriminalstatistik notiert für das vergangene Jahr 2379 Straftaten der Kategorie „Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen“ für ganz Deutschland. In 72,4 % der Fälle blieb es dabei zum Glück nur bei Versuchen.
Wer es sich leisten kann, engagiert in Kapstadt einen privaten Sicherheitsdienst, um sein Heim zu schützen. In Südafrika gibt es insgesamt rund 9.000 solcher Unternehmen, deren Mitarbeiter oft besser ausgerüstet und zuverlässiger sind als Mitglieder der staatlichen Polizei. Umgerechnet 40 Euro im Monat kostet der Service, der den Kunden zumindest in der eigenen Nachbarschaft ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Bei Fahrten zur Arbeit, zum Supermarkt oder zu sonstigen Zielen in der Umgebung steht der eigene Dienst allerdings nicht zur Verfügung; sein Einsatzgebiet ist begrenzt.
Finns neues Startup Seon will nun diese Lücke schließen. Dabei hilft ein kleines Stück Hardware, das sich im weitesten Sinne wieder als Fernbedienung bezeichnen lässt. Es handelt sich dabei um einen etwa daumennagelgroßen Clip, den man sich unauffällig an seine Kleidung heften kann. Dieser Clip ist mit einem Druckknopf bestückt, der wiederum über Bluetooth mit dem Smartphone in Verbindung steht. Im Falle eines Verbrechens drückt das Opfer einfach diesen Knopf und aktiviert damit die App von Seon, die daraufhin den nächst verfügbaren Sicherheitsdienst informiert. Der soll dann innerhalb der nächsten drei bis fünf Minuten am Tatort sein. Die Funktionsweise ähnelt derer von Fahrdienstleistern wie Uber.
Die Wirksamkeit von Seon am eigenen Leib erfahren
Wie wirksam Seon tatsächlich ist, konnte Finn bei einem Probelauf erleben, der zum Ernstfall wurde. Er war in Kapstadt unterwegs, um die Tauglichkeit von Clip und App zu überprüfen, als sich ihm zwei echte Diebe in den Weg stellten, die es auf seine beiden für den Test verwendeten Handys abgesehen hatten. Finn drückte den Alarmknopf und rannte los. Den an dem Test beteiligten Sicherheitsleuten wurde klar, dass es sich um einen echten Notruf handelte. Tatsächlich waren sie nach kürzester Zeit zur Stelle und konnten die Gauner in die Flucht schlagen.
Für Seon engagieren sich Investoren, die schon bei Vion dabei waren. Als Mitgründerin konnte Finn die Marokkanerin Samia Haimoura gewinnen, die eine ähnliche Idee wie er hatte. Insgesamt besteht das Team aus vier Personen (zwei davon stammen noch aus der Vion-Mannschaft), dazu kommen zwei Entwickler. Seon ist eine schleswig-holsteinische Holding mit Sitz in Hamburg, genauer gesagt im Mindspace, und einer Tochtergesellschaft in Südafrika.
Finn lebt inzwischen die meiste Zeit in Kapstadt, schließlich macht er dort das Geschäft. Die Kunden zahlen einmalig für den Clip, der übrigens waschmaschinenfest und erschütterungsresistent ist, und eine monatliche Servicegebühr. Die Kosten für die Einsätze der Sicherheitsdienste übernimmt Seon. Zurzeit geht es hauptsächlich darum, das Partnernetz in Kapstadt weiter auszubauen. Ist eine ordentliche Abdeckung am Kap erreicht, stehen weitere Städte auf dem Plan.
Der Bedarf ist leider weltweit groß. Vor allem in vielen lateinamerikanischen Städten ist die Kriminalität verheerend. Für ein bisschen mehr Sicherheit zu sorgen und damit ein menschliches Grundbedürfnis zu befriedigen, ist für Finn die Motivation, die ihn jeden Morgen aufs Neue antreibt.