FUSE-AI – künstliche Intelligenz für die zweite Meinung
Sich eine zweite Meinung einholen ist in der Medizin oft unerlässlich, gerade bei Diagnosen zu ernsten Krankheiten. Was aber, wenn diese Zweitmeinung nicht von einem Arzt stammt, sondern von einem Algorithmus? Das Hamburger Startup FUSE-AI hat diese Idee aufgegriffen und zu einem zukunftsweisenden Geschäftsmodell weiterentwickelt.
Sogenannte bildgebende Verfahren, wie etwa MRT oder CT, gewinnen in der Medizin immer mehr an Bedeutung. Dabei werden Bilddaten von Organen vor allem zur Diagnose krankheitsbedingter Veränderungen eingesetzt. In den letzten zehn Jahren ist der Einsatz solcher Methoden rasant angestiegen. 2016 wurden in Deutschland bereits acht Millionen CTs und MRTs durchgeführt.
Radiologen sind zunehmend überlastet
Die Folge: Die Arbeitsbelastung der Radiologen, die die Untersuchungen durchführen, steigt ebenfalls und erreicht mittlerweile ein kritisches Ausmaß. Wer den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzt um Aufnahmen auszuwerten, läuft irgendwann Gefahr, geringfügige, aber vielleicht entscheidende Abweichungen von der Norm zu übersehen. Das ist zwar menschlich, doch bei der Krankheitsdiagnose kann das ernste Konsequenzen haben.
Wenn es nach FUSE-AI geht, kann hier Kollege Comupter wertvolle Hilfe leisten. Das Startup arbeitet nämlich an einer Software, die die medizinische Bildanalyse beherrscht und dabei mit künstlicher Intelligenz arbeitet. Nun könnte man vermuten, dass eine solche Idee an einer Universität entstanden sei, im Bereich IT oder an einer medizinischen Fakultät. Tatsächlich steckt allerdings eine Werbeagentur für digitale Kommunikation dahinter: FUSE, mit Sitz in der Bergstraße, ganz in der Nähe des Rathauses.
Muttergesellschaft von FUSE-AI ist eine Digitalagentur
Der Schritt ist allerdings nicht so groß, wie er auf den ersten Blick scheint. FUSE entwickelt seit vielen Jahren Apps für seine Kunden, von denen viele aus dem Medizin- und Pharmabereich stammen. Ein gewisses Know-how und ein umfangreiches Netzwerk war also vorhanden, als die beiden Gründer Matthias Steffen und Maximilian Waschka intensiver mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) zu beschäftigen begannen.
Maximilian besuchte dafür unter anderem Konferenzen in London und San Francisco und stellte bei den Recherchen fest, dass international bereits viel intensiver über KI im Medizinbereich nachgedacht wird als in Deutschland. Hier gab es also definitiv eine Marktlücke und, wie schon erläutert, erheblichen Bedarf. Aus diesem Wissen heraus wurde im Frühjahr 2016 FUSE-AI ins Leben gerufen, damals mit dem Vertriebsprofi Jens Frerichs als dritten Gründer. Als Mitgründer kamen hinzu: Dirk Schäfer, ein Experte für maschinelles Lernen. Und Dr. Sabrina Reimers-Kipping, die jahrelange Erfahrung in der medizinischen Grundlagenforschung mitbringt.
Interdisziplinär also gut aufgestellt, ging es jetzt darum, den Anwendungsbereich der KI einzugrenzen. Die Wahl viel zunächst auf die Auswertung von MRTs der Prostata. Die Kernspintomographie ist die sicherste Methode, um eine Krebserkrankung festzustellen. Die auf einem neuronalen Netzwerk basierende Software von FUSE-AI wurde nun mit verfizierten Diagnoseergebnissen und den dazugehörigen Bildern gefüttert. Dabei lernte das Programm, bei neuen Aufnahmen eigenständig Diagnosen zu erstellen.
Kostenersparnisse in Millionenhöhe sind möglich
Die sollen die Arbeit eines echten Arztes keineswegs vollkommen ersetzten. Die Software unterstützt die Radiologen vielmehr, bringt quasi eine zweite Meinung ein und sorgt damit dafür, dass Fehler noch seltener vorkommen. Zudem lassen sich mit der Vorgehensweise 10 % Personalkosten einsparen, einfach, weil der Zeitaufwand verringert wird. Insgesamt besteht für alle Anwendungsmöglichkeiten ein Sparpotenzial in Höhe von 560 Millionen Euro.
Nach einer ausführlichen Testphase geht die Software jetzt buchstäblich in die Praxis. Ein erster Großkunde, der noch nicht genannt werden möchte, wird sie in 12 Niederlassungen nutzen. Ein weiterer Meilenstein ist die Aufnahme in das TechBoost-Programm der Telekom. Dort bekommen ausgewählte Startups 100.000 Euro Guthaben für die Open Telekom Cloud. Gerade für FUSE-AI ist diese Unterstützung äußerst hilfreich, denn für die sensiblen Daten, die über die Cloud analysiert werden, ist ein sicherer Server von wesentlicher Bedeutung. Das Angebot der Telekom ist zertifiziert vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).
Investoren halten sich bisher zurück
Zudem steht die Telekom Healthcare Solutions als Vertriebspartner zur Verfügung. Alles gute Argumente für kommende Gespräche, denn noch ist er Erklärungsbedarf groß. Zwar gab es auf der letzten CeBIT schon wertvolle Kontakte, doch gerade Investoren tun sich momentan schwer. Bisher fehlt der Nachweis der Praxistauglichkeit, der jetzt aber durch den erwähnten Großkunden bald erbracht werden sollte.
Das Potenzial ist jedenfalls vielfältig und beschränkt sich selbstverständlich keineswegs auf die Diagnose von Prostataerkrankungen. Eines der nächsten Themen soll die Erkennung von Hautkrebs sein, wobei ein 3D-Modell der Hautoberfläche zum Einsatz kommen wird. Auch hier ist es wichtig zu betonen: Der Arzt wird dadurch keineswegs überflüssig, er bekommt lediglich einen digitalen Assistenten an die Seite gestellt, der niemals müde wird und ständig dazu lernt. So jemanden kann eigentlich jeder gebrauchen.
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