Financial Services Under Fire – Gastbeitrag von Daniel Dede
Disruptiver Stress, davon spricht man, wenn sich Unternehmen innerhalb von Phasen befinden, in denen große Veränderungen anstehen oder bereits eingetreten sind. Disruptiver Stress fühlt sich in etwa so an, als spüre man den Atem des Konkurrenten im Nacken, kann ihn aber weder sehen, greifen, noch in seiner Größe bewerten.
Disruptiver Stress, in dieser Phase befinden sich aktuell Finanzkonzerne weltweit – und die meisten von ihnen wissen bereits davon.
Doch gehen wir einen Schritt zurück. Was ist gerade los, insbesondere in der Welt der Finanzdienstleistung, und was genau sind die wesentlichen Ursachen und Einflussfaktoren der aktuellen Situation?
Globalisierung schafft neue Konkurrenz für etablierte Banken
Vor einigen Jahren befanden wir uns noch in der Zeit der Pre-Globalisierung. In dieser Zeit hatten sich Unternehmen, vereinfacht dargestellt, lediglich mit den Wettbewerbern ihres jeweils eigenen Marktes auseinander zu setzen.
In Deutschland die großen Geschäftsbanken wie Deutsche Bank oder Commerzbank insbesondere mit Sparkassen oder Genossenschaften. Die Abgrenzung zwischen den Instituten war relativ klar, Zielgruppen konnten einfach zugeordnet werden.
Doch dann kam die Globalisierung und mit ihr der Markteintritt neuer Konkurrenten. Die Citybank eröffnete Filialen in deutschen Städten, die ING wirbt seitdem mit (unserem) Dirk Nowitzki, Autokredite werden von der Santander angeboten, Geschäftskunden und selbst Kommunen werden von ausländischen Banken – wir hörten z. B. von Lehman Brothers in dem Zusammenhang – akquiriert. Und auch deutsche Institute wurden im Ausland aktiv.
Das Wettbewerbsumfeld hat sich heute noch einmal dramatisch verschärft. Während die Branche insgesamt vor großen Chancen und Weiterentwicklungen steht, gestaltet sich dies für die bisherigen Player als extrem unsicher und herausfordernd.
Digitalisierung ist nichts Neues
Digitalisierung! Prinzipiell ist dies nichts Neues, denn digitalisiert wird seit Jahren und Jahrzehnten. Produkt- und Geschäftsentwicklung, Standardisierung, Verschlankung und Automatisierung ist ein kontinuierlicher Prozess, der aufgrund verschiedener Faktoren in der letzten Zeit erheblich an Geschwindigkeit gewonnen hat.
Heute konkurrieren nicht Finanzkonzerne weltweit miteinander, sondern sie konkurrieren potenziell mit jedem. Wissen und Informationen waren noch nie zuvor in der aktuellen Qualität und der weltweiten Durchdringung verfügbar. Der Ressourceneinsatz zum Aufbau neuer Geschäftsmodelle hat sich signifikant reduziert und die Geschwindigkeit, mit der Services potenziell weltweit skalieren können, war noch nie so hoch.
Genau das ist der disruptive Stress, unter dem die Institute aktuell stehen – der kalte Atem im Nacken von jemandem oder etwas, das man weder sehen noch in seiner Wucht bewerten kann.
Schauen wir im Detail auf die Treiber dieser Entwicklung:
Verfügbarkeit von Wissen: Über 45% der Gesamtbevölkerung hat Zugang zum Internet – vor zehn Jahren waren es keine 20 %, 1995 weniger als 1%. Die Anzahl an Akademikern hat weltweit innerhalb von 10 Jahren um 10 % zugenommen, die Anzahl an englischsprachigen Artikeln auf Wikipedia hat sich innerhalb von 10 Jahren verzehnfacht.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die besten Leute von Konzernen bzw. vom eigenen Konzern in den entscheidenden Funktionen beschäftigt werden, nimmt damit signifikant ab.
Baukastenprinzip: Dem Aufbau von Geschäftsmodellen im Financial Service-Umfeld standen bisher vielfach hohe Eintrittshürden aufgrund erforderlicher Compliance-Anforderungen gegenüber. Die Bereitstellung von Infrastruktur und Diensten, die insbesondere einen Großteil der Operations abbilden, ermöglicht es Gründern, Geschäftsmodelle mehr oder weniger aus bestehenden Komponenten zusammen zu setzen.
Beispiele für diese Services sind die Sutor Bank, ID now oder Wirecard.
Standardisierung: Standards verringern Transaktionskosten. Würde die Menschheit eine einzige Sprache sprechen (z. B. Esperanto), könnte man sich Übersetzungen, das Lernen neuer Sprachen und wahrscheinlich auch viele Kosten aufgrund von Missverständnissen sparen.
Hinzu kommen die Kosten von Komplexität, die ein bestimmter Standard vorgibt (bestimmte Sprachen sind aufwendiger, obwohl die Qualität der Kommunikation hierdurch wahrscheinlich nicht in gleichem Maße zunimmt). Gleiches gilt für rechtliche oder technologische Standards. Mit der Einführung von PSD2 oder der EU Datenschutzverordnung in 2018 ist mit einer weiteren Vereinfachung und Harmonisierung zu rechnen.
Gleichzeitig standardisieren Intermediäre wie figo Schnittstellen und Datenmodelle. Einstiegshürden für neue Wettbewerber werden dadurch geringer, gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Skalierungsgeschwindigkeit von Geschäftsmodellen in Märkte und Zielgruppen deutlich zunimmt.
Neue Konzepte und Technologien: Neue Konzepte und Technologien verändern die Wertschöpfungskette maßgeblich. Mithilfe der Etablierung von Blockchain Technologien werden voraussichtlich zunehmend Intermediäre aus der Wertschöpfungskette genommen.
FinTech Ökosysteme wachsen und tauschen sich aus
Gleichzeitig ergeben sich hieraus neue bzw. veränderte Anwendungsfälle, deren Umsetzung ggf. durch kleine Einheiten nicht zwingend weniger schnell und effektiv möglich und skalierbar ist, als durch große Konzerne.
Dieser Mix an Einflussfaktoren geht in sich entwickelnde „FinTech Ökosystemen“ auf, in denen innerhalb der wachsenden Community Wissen ausgetauscht, Services entwickelt und Ressourcen bereitgestellt werden.
Für Innovatoren, Reformer und Unternehmer ergeben sich hieraus große Chancen, die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen etablierter Finanzdienstleister muss jedoch auf den Prüfstand gestellt werden. Eine radikale Veränderung der Geschäftsmodelle wird in jedem Fall stattfinden, entweder aktiv intern getrieben oder durch externe Substitution bzw. Vernichtung.
Konzerne verfolgen daher unterschiedliche Strategien, um der aktuellen Unsicherheit zu begegnen:
Abwarten und kaufen: Es werden intern keine relevanten Digitalisierungsinitiativen gefahren, Kapital wird zurückgehalten und das klassische Geschäft weiter abgeschöpft. Der Markt wird aktiv beobachtet und im Falle, dass sich neue Modelle und Organisationen durchsetzen, werden diese versucht zu kopieren oder zu kaufen.
Konzentration: Es werden ganz spezifische Geschäftsfelder sehr fokussiert weiterentwickelt und stringent digitalisiert.
Shotgun: Während ein Abziehen von Investitionen aus traditionellen Geschäftsbereichen stattfindet, werden eine Vielzahl von Digitalisierungsinitiativen in unterschiedlichster Ausprägung von diversen Geschäftseinheiten aggressiv vorangetrieben.
Neben dem Aufbau interner Inkubatoren und Digitalisierungseinheiten findet in unterschiedlichen Formen eine Öffnung nach außen statt. Dass nicht alle Initiativen überleben werden, ist Kalkül, aber die Wahrscheinlichkeit auf Markterfolge der stärksten Themen ist gegeben und eine schnelle Entwicklung der Gesamtorganisation realistisch.
Ökosystem: Ein besonders hervorzuhebender Ansatz ist der Versuch, Ökosysteme aufzubauen. Als großes Vorbild dient vielen der Apple Konzern, der mit Hardware, Betriebssystemen, Technologien, Standards und Marktplätzen eine breite Öffnung für Innovation und Services ermöglicht, sich aber gleichzeitig ein sehr hohes Maß an Kontrolle sichert.
Inwieweit etablierte oder neue Player in der Lage sein werden, überlegene Modelle aufzubauen, bleibt abzuwarten.
Sicher haben alle diese Ansätze ihre Berechtigung und auch spezielle Ausprägung und sind vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen Gesamtsituation zu bewerten.
Keine Kompromisse sollte es dagegen bei der organisatorischen und technologischen Weiterentwicklung geben. Digitalisierung und einhergehende relevante Veränderungen in der Finanzbranche sind in vollem Gange. Die Weiterentwicklung von Zusammenarbeitsmodellen, über selbstorganisierte und organische Strukturen bis hin zu organisatorischen Marktmodellen ist unumgänglich.
Genauso muss die Erneuerung von Kerntechnologien und Architekturen im Fokus aktueller Geschäftsstrategien stehen, um zukünftige Änderungen, Weiterentwicklungen und Integrationen in hoher Geschwindigkeit zu ermöglichen. Diese Veränderungen sind dabei weder reine IT- noch reine Business-Themen, sondern können nur interdisziplinär bewältigt werden.
Um disruptiven Stress zu verkraften, arbeiten die meisten Banken und Finanzdienstleister bereits hart daran, sich weiter zu entwickeln. Das aktuelle Marktumfeld bietet für Konzerne, kleine Institute und Gründer erhebliche Chancen der Weiterentwicklung.
Diese Entwicklungen können Nutzen und im Endeffekt die Lebensqualität für den einzelnen Verbraucher und für die gesamte Volkswirtschaft deutlich verbessern, denn Finanzdienstleistungen sind ein wesentlicher Bestandteil von Wertschöpfungsprozessen innerhalb unserer Gesellschaft.
Wir freuen uns daher ganz besonders, dass Hamburg – die schönste Stadt der Welt – wichtiger Teil dieser Entwicklung und Zuhause einer tollen Gründerlandschaft ist.
Fintechs made in Hamburg – unser Hamburg Startups Dossier
Um dem Fintech-Standort Hamburg ein wenig besser kennen zu lernen, hat Hamburg Startups gemeinsam mit den Partnern comdirect bank AG, der Sutor Bank und der Ginkgo Management Consulting das Hamburg Startups Fintech-Dossier ins Leben gerufen.
Der Sommer 2016 steht somit ganz im Zeichen der Finanzbranche: Mit spannenden Insights in das Hamburger Fintech-Ökosystem, Portaits- und Interviewreihen sowie interessanten Gastbeiträgen unserer hiesigen Fintech-Experten.
Das ist die Hamburger Fintech-Szene – Gastbeitrag von Carolin Neumann
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Über Daniel Dede
Daniel Dede ist Managing Consultant bei Ginkgo Management Consulting, einer Hamburger Management Beratung. Mit etwa 50 Beratern und Interim Managern an den Standorten Hamburg, Zürich, Shanghai und Singapur werden Blue Chips weltweit insbesondere bei Fragestellungen zu Digitalisierung und Change begleitet. Wichtigste Kunden sind Banken, Finanzdienstleister und Automobilkonzerne.
Im Rahmen seiner Tätigkeit hat er Finanzdienstleister u. a. als interim CIO, in Leitungsfunktionen bei Banking Merger, innerhalb von Digitalisierungsprojekten oder bei organisatorischen Veränderungsprozessen begleitet. Zuvor hat Daniel als Head of Projects Big Data Teams im Tech-Umfeld geleitet. Nach seinem Studium zum Diplom Wirtschaftsingenieur in Hamburg und Monterrey war er Senior Consultant in einem auf Banking Strategie spezialisierten McKinsey Spin-off.
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